Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
was machen. Aber an der Nordostküste war sie geboren und aufgewachsen, darum war dies immer noch am vielversprechendsten.
Harry hatte es in jeder Stadt und jedem Dorf zwischen Harden und Hartlepool versucht und dann wieder den ganzen Weg zurück bis Sunderland und Durham City – ohne Erfolg! Aber er war überrascht, wie viele kleine Dörfer es gab, von denen er noch nie etwas gehört oder gesehen hatte, und wie einfach es war, eine verschwundene Person zu suchen – auch wenn seine Versuche vergeblich blieben. Wohnungsbaugesellschaften, Hotels, Eigentumswohnungen, Einzimmerapartements und zeitweilige Unterkünfte waren offenkundig die Stellen, die er abklappern musste. Irgendwo musste Brenda ja wohnen, schließlich brauchte sie ein Dach über dem Kopf. Sie war bei keiner der Gesellschaften gemeldet. Bei dem knappen Dutzend junger Frauen mit Kleinkindern, die registriert waren, handelte es sich nicht um Brenda. Im Grunde erstaunte dies Harry nicht; aber wenigstens hatte er es versucht.
Ins Ausland: In dem Brief, den sie ihrem Vater geschrieben hatte, hieß es, sie wolle ins Ausland gehen, daher die unzähligen Möglichkeiten. Denn wenn es schon allein an der Nordostküste ein paar hundert Städte gab, in denen der Necroscope noch nie gewesen war, und weitere fünftausend im Rest von England, wie sah es dann mit der ganzen Welt aus?
Irgendwohin ins Ausland!
... ein Garten auf einem fruchtbaren Bergsattel zwischen zerklüfteten, von Wind und Wetter gezeichneten Felsvorsprüngen, wo während der langen Stunden des Tages staubflirrende Sonnenstrahlen schräg zwischen den hohen Pässen einfielen und nachts die Sterne wie mit Raureif überzogene Juwelen glänzten oder vielmehr wie im geisterhaften Wabern der Auroren vom Himmel hängende Eissplitter ...
Wo mochte das sein? Im nördlichsten der US-Bundesstaaten? In Kanada? In den eisigen Tundren der Sowjetunion? Oder der Schweiz? (Konnte man in der Schweiz überhaupt das Nordlicht sehen – und weshalb unbedingt das Nordlicht?) Brenda war Britin, ein naives Mädchen, völlig unbedarft, selbst was ihr Heimatland, ach was, ihren Geburtsort anging! Noch während der Necroscope die Fragen, die ihm durch den Kopf gingen, als Unsinn abtat, verblasste das flüchtige Bild eines fernen, fremden Landes erneut. Was wahrscheinlich ganz gut war, denn auf der Erde würde er es niemals finden.
Er würde sie niemals finden ... seinen kleinen Sohn und seine Frau nie wiedersehen ... jedenfalls nicht auf der Erde!
Harry fuhr aus dem Schlaf hoch. Vor Angst und Enttäuschung stand ihm der kalte Schweiß auf der Stirn. Er befand sich in seinem Schlafzimmer in dem alten Haus unweit von Bonnyrigg und fühlte sich mutterseelenallein.
Schwer atmend lag er auf seinem Bett und spürte, wie sein Herz raste und ihm das Blut durch die Adern schoss, sodass er sich sekundenlang so vorkam, als sei er der Vermisste, Verlorene, und nicht Brenda und das Baby. Und im Grunde verhielt es sich ja auch so, denn den einstigen Harry Keogh gab es nicht mehr!
Abermals dieser Gedanke – dass sein Körper nicht mehr existierte! Und Stück für Stück löste sich auch seine gesamte Welt auf. War dies der Grund, aus dem er Brenda finden musste – um sich selbst zu finden? In diesem Fall war seine Suche ohnehin fruchtlos, denn sie würde ihn ja doch nur abweisen.
Verdammt ... Deshalb war sie weggelaufen! Weil er nicht mehr er selbst war!
Entweder dies, oder sie war entführt worden: von dem Kleinen oder ... von jemand anderem?
Den Russen? Doch das schien unwahrscheinlich, darüber hatte er bereits nachgedacht! Wenn also nicht von der Gegenseite, dem vielfach leidgeprüften sowjetischen ESP-Dezernat, von wem dann?
Als der Schweiß auf seiner Stirn trocknete, klärte sich Harrys Geist allmählich, und er konnte wieder klarer denken, so klar, wie schon seit Langem nicht mehr. Und er begann wieder ganz von vorne, mit jener Nacht in der Zentrale des E-Dezernats, als er erfahren hatte, dass seine Frau verschwunden war. Damals hatte er die Möglichkeit weit von sich gewiesen, dass der selbst ernannte »Werwolf«, A. C. Doyle Jamieson, dafür verantwortlich sein könnte. Doch nun?
Immerhin hatte der Kerl seine Gedanken gelesen ... doch wie lange schon? In dem Augenblick, als Harry sich für die toten Polizeibeamten engagiert und ihren Fall aufgenommen hatte, war er zu seinem Gegner geworden. Hatte A. C. ihn etwa von da an belauscht und alles, was er dachte, mitbekommen, all seine Probleme und Sorgen? Falls ja,
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