Necroscope 9: WERWOLFSJAGD (German Edition)
aufhielten, wie Harrys Mutter vermutete, an einem Ort, der haargenau der Vorstellung entsprach, die der Necroscope soeben so lebhaft geschildert hatte. Eine dramatische, wenn auch fremdartige Landschaft, lange, nebelverhangene Nächte, Tage voller Sonne, die sich dem Abend entgegenneigten, hohes Gras, wilde Blumen und ein Garten, der Brendas Erwartungen weit übertraf und mit nichts vergleichbar war, was sie von dieser Welt kannte.
Denn zu diesem Zeitpunkt wusste noch nicht einmal der Necroscope, dass es diesen Ort überhaupt gab. Erst viel später, als er schon längst jede Hoffnung, die beiden jemals wiederzufinden, aufgegeben hatte, sollte er davon erfahren ...
Vorerst jedoch ging Harry noch einmal die Orte durch, an denen er bereits nachgesehen hatte, angefangen bei Brendas einstigem Zuhause und ihrer Verwandtschaft in Harden, einer Bergarbeitersiedlung an der Nordostküste.
Die Mine war erschöpft und schon seit geraumer Zeit geschlossen, sodass ihm der Ort noch öder als früher vorgekommen war; aber die Menschen waren immer noch dieselben. Wenn Brenda oder der Kleine ihm allerdings aus dem Weg gehen und sich tatsächlich vor ihm verstecken wollten, was er mittlerweile annehmen musste, wäre dies natürlich der letzte Ort, den sie aufsuchen würden. Das war Harry zwar von Anfang an klar gewesen, dennoch hatte er nachgesehen. Was er dort vorgefunden hatte, hatte ihn noch unglücklicher gemacht.
Er konnte nicht mehr so wie früher einfach bei Brendas Verwandten aufkreuzen, schließlich war er ja ein anderer. Sollte er etwa zu ihnen gehen und ihnen erzählen, er sei Harry Keogh, und dann auch noch versuchen, dies zu erklären? Das würden sie ihm niemals abnehmen, diese bodenständigen Leute von der Nordostküste.
Stattdessen sprach er Brendas Vater in dessen Stammkneipe an, im örtlichen Pub, und stellte sich als ein Freund Harry Keoghs vor, der wissen wollte, was aus Harry geworden war. Die Antwort war nicht ganz nach seinem Geschmack.
Um es in aller Kürze wiederzugeben: Brenda und Harry hatten geheiratet und ein Kind war auch schon da. Vor achtzehn Monaten war sie mit dem Baby nach London zu ihrem Mann gezogen. Der arbeitete dort, schrieb wohl ein Buch oder so. Sie verlor nie viele Worte über den Job ihres Ehemannes, was nur zu verständlich war. Wahrscheinlich schämte sie sich ein bisschen dafür, dass er keiner geregelten Arbeit nachging. Was, Harry Keogh? Seit seiner Schulzeit hatte der keinen Streich mehr gearbeitet – jedenfalls nicht körperlich. Aber was er auch tun mochte, schreiben oder sonst irgendwas, es schien ihm gut zu gehen; an Geld hatte es ihr jedenfalls nie gefehlt.
Doch dann, vor wenigen Wochen, hatte sie geschrieben, dass sie mit dem Baby fortgehen würde, irgendwohin »ins Ausland«. Und das war schon komisch, denn ihren Mann hatte sie dabei mit keiner Silbe erwähnt, nur sich und das Kind. Trotzdem, sie hatte ziemlich oft angedeutet, dass Harry irgendwelche Geheimaufträge für die Regierung erledige; vielleicht war es ja so etwas. Wahrscheinlich waren sie nach Übersee gegangen, in irgendeine Botschaft oder so. Mit dem Schreiben hatte es wohl nicht so geklappt, also versuchte er sich jetzt auf seinem zweiten Standbein. Möglicherweise hatte er jetzt ja einen Regierungsjob als »Sonderkurier« oder Ähnliches und musste wichtige Nachrichten oder auch Güter von Land zu Land überbringen. Oder vielleicht hatte es mit dem Schreiben ja schließlich doch funktioniert und es handelte sich nur um einen Trick, das Finanzamt zu hintergehen. Allerdings ... nun ja, Brenda könnte schon ein bisschen öfter schreiben. Ihr letzter Brief lag jetzt – wie lange? – ganze fünf oder sechs Wochen zurück. Immerhin waren sie doch ihre
Eltern ...
Kurz, sie machten sich offenkundig Sorgen um sie, auf ihre Art genauso sehr wie Harry. Und es war ebenso offensichtlich, dass Brendas Vater ihm nichts vormachte ... Sie war nicht hier und sie hatten wirklich keine Ahnung, wo sie sich aufhielt. Von ihren ehemaligen Freunden hörte er das Gleiche. Harden konnte er also streichen; dort befand sie sich nicht, und keiner wusste, wo sie geblieben war.
Dann kam ihm ein anderer, wirklich beunruhigender Gedanke. In den vergangenen zweieinhalb Jahren hatte der Necroscope dem russischen E-Dezernat (das Darcy Clarke und seine Truppe nur als »die Gegenseite« bezeichneten) ganz schön zu schaffen gemacht. In dieser Zeit hatten die Russen drei Abteilungsleiter verloren und mussten zusehen, wie ihre Zentrale vor
Weitere Kostenlose Bücher