Neferets Fluch ( House of Night Novelle )
Zeitverschwendung.«
»Hrmph!«, schnaubte er, gefolgt von schallendem Gelächter. »Du hast soeben beinahe dieselben Worte gesprochen, die ich zu deiner Mutter sagte, als sie mich bat, unsere Bank solle die GFWC doch unterstützen. Wie klug von dir, so schnell zu erkennen, was deine Mutter nicht einmal begriff, als sie schon zwanzig Jahre älter war.«
Ich hielt mich mit einer Antwort zurück. Ich würde nicht meine Seele verkaufen und mich auf die Seite eines Ungeheuers schlagen. Schweigend schob ich weiter mein Essen auf dem Teller hin und her. Vater beobachtete mich und trank einen großen Schluck von dem Wein, den ich nicht die Gelegenheit gehabt hatte zu verdünnen.
»Aber sich für einen sozialen Zweck zu engagieren ist von äußerster Wichtigkeit für Menschen unseres gesellschaftlichen und finanziellen Rangs. Lass uns doch einen Moment lang so tun, als könntest du eine eigene soziale Stiftung ins Leben rufen. Sag mir, was für eine das wäre, Emily.«
Ich überlegte möglichst gründlich, ob eine ehrliche Antwort negative Auswirkungen haben könnte, beschloss aber schnell, dass ich genauso gut sagen könnte, was ich dachte. Es war offensichtlich, dass ich für ihn ein Spielzeug, eine Puppe, eine Zerstreuung war. Nichts von dem, was ich sagte, hatte die geringste Bedeutung für ihn.
»Ich würde nicht den Bodensatz der Menschheit unterstützen. Ich würde diejenigen bestärken, die danach streben, sich über die Grenzen des Gewöhnlichen zu erheben. Ich habe gehört, wie Mr. Ayer über seine Sammlung indianischer Kunst sprach. Ich habe gehört, wie Mr. Pullman vorschlug, den Hauptbahnhof und einige seiner Luxus-Eisenbahnzüge elektrisch zu beleuchten. Stünde es in meiner Macht, so würde ich einen Palast der Künste stiften und vielleicht sogar ein Museum der Wissenschaft und Technik, und ich würde nicht Trägheit, sondern herausragende Leistungen fördern.«
»Ha!« Vater schlug so heftig auf den Tisch, dass sein Wein über den Rand seines Glases schwappte und wie Blut in die feine weiße Tischdecke sickerte. »Gut gesagt! Gut gesagt! Ich bin ganz mit dir einverstanden. Von nun an wirst du nicht mehr bei der GFWC arbeiten.« Er lehnte sich vor und hielt meinen Blick fest. »Weißt du, Alice, wir könnten noch Großes miteinander vollbringen, wir zwei.«
Mein ganzer Körper erstarrte zu Eis. »Vater, mein Name ist Emily. Alice, deine Ehefrau, meine Mutter, ist tot.« Ehe er antworten konnte, stand ich auf, und da gerade George mit dem Dessert hereinkam, presste ich mir den Handrücken auf die Stirn und taumelte, wie kurz vor einer Ohnmacht. George runzelte besorgt die Stirn. »Geht es Ihnen nicht gut, Miss?«
»Wie Vater gestern sagte, bin ich noch erschöpft von Samstagabend. Könnten Sie bitte Mary rufen, damit sie mich in mein Zimmer bringt?« Ich warf einen Blick auf Vater und fügte hinzu: »Darf ich mich entschuldigen, Vater? Lass dich nicht durch meine Schwäche davon abhalten, heute Abend zu den Simptons zu gehen.«
»Sicher. George, lassen Sie Mary kommen. Emily, ich erwarte, dass deine Gesundheit morgen besser ist.«
»Ja, Vater.«
»Carson!«, bellte er und stieß das Dessert weg, das George ihm hingestellt hatte. »Lassen Sie sofort den Wagen vorfahren!« Und ohne mir noch einen Blick zu schenken, verließ er das Zimmer.
Gleich darauf kam Mary, murmelte etwas über meine zarte Gesundheit und scheuchte mich in mein Schlafzimmer wie eine Henne ihr Küken. Ich ließ sie mir aus meinem Tageskleid ins Nachthemd helfen, kuschelte mich ins Bett und versicherte ihr, ich bräuchte nur Ruhe. Sie verließ mich bald, doch ich konnte sehen, dass sie ehrlich besorgt um mich war.
Was hätte ich ihr sagen sollen? Sie hatte das Brennen in Vaters Augen gesehen, wenn er mich ansah. Sie und George und Carson und wahrscheinlich selbst die Köchin wussten, dass er mich gefangen hielt und belauerte. Doch keiner von ihnen hatte auch nur ein Wort gegen ihn gesagt. Keiner hatte angeboten, mir bei der Flucht zu helfen.
Es spielte keine Rolle. Ich allein musste das Instrument meiner Rettung sein.
In dieser Nacht gelang es mir immerhin, eine winzige Flucht zu unternehmen, wenn auch nur für ein oder zwei Stunden.
Vater würde den Abend bei den Simptons verbringen, sich bei ihnen einschmeicheln und versuchen, den um seine zarte Tochter besorgten Patriarchen zu spielen.
Auch das spielte keine Rolle. Es bedeutete vielmehr, dass ich in meinen Garten fliehen konnte!
Auf Zehenspitzen schlich ich die Treppe
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