Neferets Fluch ( House of Night Novelle )
schönzureden. Selbst Arthur hatte in jener Nacht unter der Weide Vaters Verhalten als verständlich für einen Witwer abgetan, der wegen der Trauer um seine Frau besonders besorgt um seine Tochter ist. Ich wusste es besser. Ich kannte die Wahrheit. Seine wachsende Aufmerksamkeit mir gegenüber war nicht nur tyrannisch und besitzergreifend, sondern auf grauenvolle Weise unschicklich. So monströs es war, ich begann zu ahnen, dass Vater sich wünschte, ich solle den Platz meiner Mutter gänzlich einnehmen – in jeder Hinsicht. Ich ahnte außerdem, dass ich meinen Verdacht mit niemandem teilen durfte. Daher würde ich statt der Wahrheit das Bild eines barschen, selbstherrlichen Vaters zeichnen, der meinem zartfühlenden Wesen Angst bereitete. Ich würde an den Gentleman in Arthur appellieren, mich zu retten.
Es war ein schlicht absurder Gedanke, Vater könnte den aufrichtigen Heiratsantrag eines jungen Mannes aus einer wohlhabenden, hochangesehenen Familie wie den Simptons ablehnen. Eine Verbindung mit ihrem Geld und ihrer Macht wäre viel zu verführerisch. Alles, was ich tun musste, war, mir Arthurs Zuneigung zu sichern und ihn zu überzeugen, dass meine Angst vor Vaters herrischer Art meine Gesundheit bedrohte und eine rasche Heirat unabdinglich war. Vater selbst hatte mich gelehrt, dass Männern die Illusion gefiel, Frauen seien schwach und labil. Arthur mochte gutmütig und freundlich sein, aber ein Mann war er doch.
Die Schneiderin kam am späten Montagnachmittag. Es wurde beschlossen, dass sie Mutters elegantestes smaragdgrünes Seidenkleid für mich umarbeiten würde. Sie war dabei, mich zu vermessen und abzustecken, als Vater ohne jede Vorwarnung in meinen Salon im zweiten Stock platzte. Ich sah das Entsetzen in den Augen der Schneiderin und musste meine halbnackten Brüste mit den Händen bedecken, da sie gerade das Mieder umgestaltete.
Vaters heißer Blick versengte meinen Körper.
Mit einem anerkennenden Nicken ging er einmal ganz um mich herum. »Das Seidenkleid – eine hervorragende Wahl.«
»Ja, Sir. Ich stimme Ihnen zu. Es wird an Ihrer Tochter herrlich aussehen«, sagte die Schneiderin mit gesenktem Blick.
»Nur die goldene Spitze ist für ein so junges Mädchen wie meine Emily zu vulgär. Nehmen Sie sie ab.«
»Das kann ich tun, Sir, aber dann wird das Kleid gänzlich schmucklos sein, und, verzeihen Sie, wenn ich das sage, Sir, der Anlass verlangt nach etwas Außergewöhnlichem.«
Vater strich sich über den Bart, musterte mich weiter und sagte, als sei nicht ich mit im Raum, sondern eine geistlose Anziehpuppe: »Da bin ich anderer Meinung. Halten Sie den Schnitt schlicht, aber gefällig. Die Seide ist von der feinsten Sorte, die man in diesem Teil der Welt erstehen kann, und Emilys Jugend ist Schmuck genug dafür. Sollte das nicht genügen, werde ich mir die Juwelen ihrer verstorbenen Mutter ansehen und etwas Passendes für den Abend heraussuchen.«
»Sehr wohl, Sir. Wie Sie wünschen.«
Da die Schneiderin den Blick bereits wieder auf ihre Absteckerei gesenkt hatte, bemerkte sie nicht die lodernde Hitze in Vaters Augen, als er antwortete: »Ja. In der Tat wird alles sein, wie ich es wünsche.«
Ich sagte überhaupt nichts.
»Ich erwarte dich bald zum Dinner, Emily. Danach werde ich zu den Simptons gehen, und du kannst dich hinlegen und ausruhen. Ich will, dass du nächsten Montag bei bester Gesundheit bist.«
»Ja, Vater.«
Auch während des Essens schwieg ich, abgesehen von einem kleinen Intermezzo. Mitten in Vaters neuester Tirade über die horrenden Ausgaben für die Ausstellung und seine Sorge, er könnte wieder einmal recht haben und die Bank Geld verlieren, wechselte er abrupt das Thema.
»Emily, macht dir dein wöchentlicher Freiwilligendienst bei der GFWC eigentlich Freude?«
Ich weiß nicht genau, was über mich kam. Vielleicht lag es daran, wie leid ich es war, mich ständig verstellen zu müssen, um die Rolle der pflichtbewussten Tochter eines Mannes zu spielen, der den Titel Vater nicht verdiente. Vielleicht lag es auch an der wachsenden Kälte in mir. Jedenfalls beschloss ich, nicht zu lügen oder der Frage auszuweichen. Ich sah Vater in die Augen und sagte die Wahrheit.
»Nein. Mrs. Armour ist eine heuchlerische alte Frau. Die Armen und Obdachlosen von Chicago stinken und haben kein Benehmen. Kein Wunder, dass sie von der Fürsorge anderer leben müssen. Nein, Vater, es macht mir keine Freude, bei der GFWC zu arbeiten. Es ist eine Farce und pure
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