Neferets Fluch ( House of Night Novelle )
gut aus. Camille und ich hatten oft über ihn getuschelt, nachdem seine Familie das große Anwesen an der South Prairie Avenue bezogen und wir beobachtet hatten, wie er mit seinem Fahrrad in der Straße auf und ab fuhr. Einzig Arthur war die treibende Kraft hinter unserem Wunsch gewesen, uns ebenfalls Fahrräder zuzulegen und in den Hermes Bicycle Club einzutreten. Er war auch der Hauptgrund dafür, warum unsere Mütter bereitwillig unsere Väter dazu gedrängt hatten, es uns zu erlauben; allerdings hatte Camille gehört, wie ihr Vater ihre Mutter belehrte, die »Bloomers« genannten Radfahrhosen könnten ein junges Mädchen allzu leicht zu »einem Leben in ruchloser Lüsternheit« verführen. Daran erinnerte ich mich noch genau, weil ich so sehr darüber kichern musste, wie treffend Camille den Tonfall ihres Vaters nachgeahmt hatte. Lachend hatte sie hinzugefügt, sie sei jederzeit bereit, sich zu einem Leben in ruchloser Lüsternheit zu entschließen, solange es nur zusammen mit Arthur Simpton war.
Ich hatte nichts geantwortet. Es war mir unnötig erschienen. Oft schon hatten wir bemerkt, wie Arthur in unsere Richtung geblickt hatte, aber wir wussten beide, dass es meine Augen waren, die er gesucht hatte, wenn er sich an den Hut tippte, und dass es immer mein Name war, mit dem er »Einen wunderschönen guten Morgen, Miss Emily« wünschte.
Mir schwindelte, und die Welt schien sich zu schnell zu drehen. Ich schüttelte den Kopf und fragte Camille: »Er hat mit dir getanzt?«
»Den größten Teil des Abends«, antwortete Mrs. Elcott für ihre Tochter und nickte so flink mit dem Kopf, dass die Federn an ihrem Hut beängstigend flatterten, was ihr nur noch größere Ähnlichkeit mit einem Huhn verlieh. »Tatsächlich glauben Camille und ich, dass Arthur Simpton bald bei Mr. Elcott um die Erlaubnis bitten wird, ihr in aller Form den Hof zu machen.«
In meinem Magen war ein hohles, flaues Gefühl. Wie konnte er Camille den Hof machen? Vor etwas über zwei Monaten hatte er ihr noch nicht einmal mit Namen einen guten Morgen gewünscht. Konnte er seine Meinung in so kurzer Zeit so drastisch geändert haben?
Ja, gestand ich mir stumm ein. Ja, in so kurzer Zeit konnte man sich so drastisch ändern. Ich jedenfalls hatte mich geändert.
Ich wollte gerade den Mund öffnen, auch wenn mir noch nicht ganz klar war, was ich sagen wollte – da stürzte Vater ins Zimmer. Er sah ziemlich zerzaust aus und trug kein Jackett.
»Ah, Emily, hier bist du.« Abwesend nickte er Mrs. Elcott und Camille zu. »Guten Tag, die Damen.« Dann wandte er sich ganz mir zu. »Emily, welche Weste soll ich heute Abend tragen? Die schwarze oder die weinrote? Das Komitee trifft sich wieder mit diesen verwünschten Architekten, und ich muss hart durchgreifen. Dafür brauche ich die richtigen Voraussetzungen. Die finanzielle Situation gerät völlig außer Kontrolle, und die Zeit wird knapp. Die Messe muss am ersten Mai eröffnen, und es ist kein Ende der Vorbereitungen in Sicht. Die Ziele sind viel zu hoch gesteckt – viel zu hoch!«
Ich musste blinzeln, um die bizarre Szene ganz erfassen zu können. Arthur Simptons Name in Verbindung mit Camilles schien noch beinahe greifbar in der Luft zu stehen, während Vater mit nur halb zugeknöpftem, aus der Hose hängendem Frackhemd dort stand, in jeder Hand eine Weste, mit denen er wedelte wie mit zwei Flaggen. Mrs. Elcott und Camille starrten ihn an, als hätte er den Verstand verloren.
Da wurde ich mit einem Mal wütend, und automatisch kam ich Vater zu Hilfe.
»Mutter hat immer gesagt, die schwarze sei formeller, aber die weinrote prunkvoller. Nimm die weinrote, Vater, damit die Architekten sehen, dass du es bist, der die Kontrolle über die finanziellen Mittel hat – und somit über ihre Zukunft.« So gut es ging, imitierte ich den leisen, beschwichtigenden Ton meiner Mutter.
Vater nickte. »Ja, gut, halten wir uns an deine Mutter. Eindruck schinden. Ja, gut gemacht.« Knapp verneigte er sich vor den beiden Besucherinnen, wünschte ihnen einen guten Tag und eilte davon. Ehe die Tür sich wieder schloss, sah ich, wie Carson, sein Kammerdiener, auf ihn zuhastete und die schwarze Weste an sich nahm, die ihm schon entgegengeworfen wurde.
Als ich mich wieder den Elcotts zuwandte, hob ich das Kinn. »Wie Sie sehen, verlässt mein Vater sich auf mein Urteil.«
Mrs. Elcott hob eine Augenbraue und rümpfte die Nase. »Ja, das sehe ich. Dein Vater ist ein beneidenswerter Mann, und auch der Mann, der
Weitere Kostenlose Bücher