Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
nicht, Frau Mutter.«
»Mhm.«
Mist Maria. Oder besser, arme Maria.
Das Buch, in das er zwei der Gedichte aus Alyss’ Band mit Minneliedern abgeschrieben hatte, sowie eine Kassette mit Tintenfass, Löschsand, Feder und Federmesser rollte Marian am Samstagnachmittag in ein Stück weißes Leinen und machte sich dann auf den Weg zur Burgmauer. Noch immer verließen Händler und Fuhrleute die Stadt. Zum Eigelsteintor jene, die Richtung Norden wollten, zum Severinstor die, deren Ziel im Süden lag, und zur Hahnenpforte solche, die nach Westen wollten. Auf seinem Weg zur Burgmauer machte er am Dom Halt. Die Arbeiten an der Kathedrale hatten während der Messezeit geruht, die Baustelle wirkte aufgeräumt. Die großen Steinquader harrten der Arbeit der Steinmetze, die sie nach den Vorgaben des Dombaumeisters formen würden. Die Mörtelwannen waren leer, die Öfen, auf denen das Blei geschmolzen wurde, kalt, der quietschende Kran schwieg, und stumm warteten drei Apostel darauf, in ihre Nischen gehoben zu werden. Aber alles in allem strahlte der halbfertige Bau mit seinen filigranen Strebpfeilern und dem kunstvollen Maßwerk der hohen Fenster schon das Versprechen kommender Größe und Vollkommenheit aus. Wie so oft blieb Marian hier stehen und fühlte sich klein und vergänglich gegenüber diesem gewaltigen Vorhaben, das über Generationen und Generationen erst fertiggestellt werden würde. Die Vision der
Baumeister – in solchen Augenblicken konnte er seine Mutter sehr gut verstehen. Auch sie spürte die Macht der Steine und der Geometrie, die vollendete Harmonie der Statik.
Nachdem er sich sattgesehen hatte, schlenderte Marian weiter, ein wenig aufgeregt, doch auch mit einem klaren Ziel vor Augen.
Er brauchte Antworten. Und wenn ihn Gislindis manchmal verspottete, neckte und sicher nie ganz ernst nahm – was immer Alyss helfen würde, so hatte er den Eindruck, würde sie, sofern sie es wusste, preisgeben.
Diesmal hatte er seinen Besuch angekündigt, und so empfing ihn die Schleiferstochter wieder in ihrem adretten Gewand und hatte auch eine Kanne Most und kleine Kuchen bereitgestellt.
»Ihr habt doch Euren Lausejungen wieder, Herr Marian. Was wollt Ihr denn jetzt noch in meinem armseligen Häuschen?«
»Geschenke bringen, meine Liebliche. Und darauf hoffen, Ihr fändet so viel Gefallen daran, dass Ihr mich vom Born Eures Wissens kosten lasst.«
»Ei, große Wünsche für einen kleinen Mann. Doch tretet ein, zumindest von dem Most aus süßen Äpfeln dürft Ihr schlürfen.«
Nach Äpfeln duftete auch der Raum, in dem ein Kaminfeuer fröhlich knisterte, denn in Körben und Schalen lagen rotbackige Früchte. Marian setzte sich an den hell geschrubbten Tisch und ließ sich einen Becher Most einschenken. Das eingewickelte Päckchen legte er neben sich.
»Sind Eure Geschäfte gut gelaufen, fleißige Gislindis? Ich sah Euch am Montag eifrig Münzen zählen.«
»Wir werden über den Winter kommen. Mats hat das Holz bestellt, und die Speisekammer ist gefüllt. Und für ein paar warme Stiefel reicht es auch noch.«
Marian hätte ihr gerne angeboten, auch noch einen dicken Umhang beizusteuern, aber er wollte es nicht wie ein Almosen aussehen lassen. Wenn Gislindis etwas von ihm brauchte, so würde sie es ihm schon sagen. Oder er musste eine List anwenden, damit sie ihn darum bat.
»Und Eure Geschäfte, Herr Marian, wie ist es um die bestellt? Der Knochenbrecher bedarf Eurer Dienste nicht mehr, hörte ich.«
»Der Lehrvertrag ist ausgelaufen.«
»So könnt Ihr es sicher nennen. Und nun lernt Ihr das Mischen zauberischer Kräuter.«
»Ihr versteckt so sorgsam Eure Ohren unter diesem hübschen Schleiertuch, meine Liebliche, aber ich vermute doch sehr, dass sie die Größe von Taufbecken haben.«
Gislindis kicherte.
»Man braucht gar keine großen Ohren, Herr Marian, man sieht und riecht und fühlt und schmeckt, was in der Luft liegt. Wollte Ihr mir Eure Hand reichen, damit ich weitere Botschaften darin erkenne?«
»Was ist der Preis dafür, meine Holde?«
»Mhm – das sage ich Euch, wenn ich gelesen habe.«
»Ein gefährliches Geschäft. Ich weiß nicht, ob ich das eingehen sollte.«
»Habt Ihr Angst?«
»Vielleicht.«
»Vor meinen Worten oder meinem Wünschen?«
Marian verspürte tatsächlich eine gewisse Bänglichkeit.
Aber dann schalt er sich Feigling und streckte seine Linke aus.
Gislindis nahm sie in ihre Hände und strich über die Linien. Versunken saß sie da und ließ ihre Finger spielen, als
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