Nehmt Herrin diesen Kranz - Schacht, A: Nehmt Herrin diesen Kranz
habt.«
»Natürlich, my Lady. Ein gegebenes Wort bindet.«
»Ihr pflegt heute Nacht wieder die Anrede, die mir nicht zusteht, John of Lynne.«
Er schwieg lange und saß dabei vollkommen regungslos auf der Bank. Nur die unstete Nachtlampe hauchte seinen stillen Zügen Leben ein. Auch Alyss schwieg. Er war aus einem ganz bestimmten Grund gekommen, doch herrschte eine wortlose Übereinkunft zwischen ihnen, nicht über das Offensichtliche zu sprechen. Und dennoch verlangte es nach einem Ausdruck. Sie hätte ihm gerne über das Haar gestreichelt, eine kleine Geste der Zärtlichkeit. In weniger als drei Tagen würde er abreisen, bald ein halbes Jahr fortbleiben. Würde das Flämmchen weiterbrennen oder erstickt werden von der Kälte in seinem Haus oder dem Frost in dem ihren? Wäre es nicht sogar besser, es würde erlöschen, denn die Möglichkeit, dass es je zu einem Herdfeuer werden konnte, an dem sie beide Wärme finden konnten, war so gering. Fesseln banden sie, und selbst, wenn sie sich heute Nacht für eine kurze Weile von ihnen befreit dünkten, sie würden umso fester ins Fleisch schneiden, wenn der Tag anbrach.
Eine leise Bewegung schreckte sie aus ihren Gedanken.
John war aufgestanden und zu ihr getreten. In ehrerbietiger Höflichkeit streckte er seine Hand aus. Sie nahm sie und stand auf. Sie musste zu ihm aufsehen, und als sie es tat, fand sie großen Ernst in seinem Blick. Dann aber griff er mit beiden Händen nach dem unordentlichen Zopf, der über ihre Jacke fiel, und löste das Lederbändchen an seinem Ende. Nur wenige
Bewegungen brauchte er, dann ergossen sich ihre Haare wie eine schwarze Flut über ihre Schultern. Er breitete sie aus und hob die Krone aus ihrem Bett aus Samt. Mit einer sanften Geste setzte er sie auf ihr Haupt, beugte die Knie vor ihr und blickte zu ihr auf.
»My highest Lady!«, sagte er leise. Dann ergriff er ihre Rechte und drückte das Handgelenk leicht an seine Stirn.
Es war eine seltsame Geste, pathetisch vielleicht, doch zutiefst bewegt spürte Alyss, dass sie der Ausdruck seines Verlangens nach ihr war.
Die Krone lag schwer auf ihrer Stirn, leicht war das Gold nicht. Und leicht war auch nicht das Versprechen, das er ihr damit gab. Aber es durchflutete sie wie ein Glutstrom, und als er ihre Hand losließ, merkte sie, dass sie den Atem angehalten hatte.
»John of Lynne, Ihr seid wahnsinnig.«
»Ja, my Lady.«
Er richtete sich auf, stand wieder vor ihr und blickte ihr in die Augen.
»Was immer zwischen uns geschehen ist – Eure Ehre muss unbefleckt bleiben. Ich weile schon viel zu lange hier in Eurer Kammer, denn auch wenn das Haus schläft, gibt es doch überall Augen und Ohren. Ich verlasse Euch jetzt, denn sonst vergesse ich meine Ehre und die Eure dazu.«
Alyss löste ihren Blick von seinem Gesicht und hob vorsichtig die Krone von ihrem Kopf.
»Ehre. Ihr Männer und eure verdammte Ehre!«, fauchte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen, umfasste Johns Nacken und zog ihn zu sich hinunter. Als ihre Lippen die seinen trafen, spürte sie, wie seine Ehre wie alter Mörtel zu bröckeln begann.
Sanft waren sie nicht, verlangend wohl. Während er sie küsste, zog sein Arm sie fest an seine Brust, und seine Rechte wühlte sich in ihre Haare. Eine kleine Ewigkeit verloren sie sich in ihrer Nähe, doch dann machte Alyss sich nachdrücklich von ihm frei.
»Nun seid Ihr entlassen, John of Lynne«, sagte sie heiser. Doch er blieb wie benommen stehen.
Alyss lächelte ihn wehmütig an, dann wandte sie sich noch einmal zu ihrer Truhe und holte den Band mit den Minneliedern heraus. Mit einer schnellen Handbewegung wickelte sie ihn in den schwarzen Samt und verknotete die Kordel darum.
»Die Winternächte werden lang, John of Lynne. Denkt an mich, wenn Ihr darin lest.«
»Ja, my Mistress, das verspreche ich Euch.« Er nahm das Geschenk an und strich ihr über die Wange. »Habt Dank.«
Und auf lautlosen Sohlen verschwand er durch die Tür.
Alyss öffnete den Fensterladen und trotzte dem eisigen Hauch der Nacht, um ihm nachzusehen, wie er die Gassen hinunterging und mit den Schatten verschmolz.
»Buhuhuuu!«, rief es durch die Stille, und vom First des Nachbarhauses erhob sich mit mächtigem Flügelschlag der Uhu.
»Buhuhuuuu!«, hallte sein Ruf durch die Stille.
»Schicksalskünder!«, murmelte Alyss, als der Vogel mit leisem Flügelrauschen über die Dächer davonglitt.
Dann schloss sie das Fenster wieder und kroch unter die Decken. Das pelzgefütterte Jäckchen behielt
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