Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
hervor und richtete sein Augenmerk auf die letzte Zeile. Mit großer Wahrscheinlichkeit war das Fazekas’ Handynummer. Die könnte jemandem nützlich sein. Jemandem, dessen Schicksal im Moment im Ungewissen lag.
Er schickte Gunnar Nyberg Fazekas’ Nummer und ging nach Hause.
Es war fraglich, ob er wieder würde einschlafen können.
Szebb Jövo˝ért Polgároo˝r Egyesület
Gyöngyöspata, Ungarn, 6. Juli
Das SMS-Signal hätte ihn bestimmt geweckt. Aber Gunnar Nyberg war schon lange wach. Er hielt ein brennendes Feuerzeug in der Hand. Die Luft roch nach Benzin.
Als das Flugzeug aus Athen am vergangenen Nachmittag gelandet war, hatte es geregnet. Und wie erwartet, wurden die ersten Minuten in Ungarn zu einer Belastungsprobe. Die Aufgabe, gleichzeitig Fabien Fazekas im Auge zu behalten und einen Mietwagen zu organisieren, war für Nyberg nicht zu bewältigen. Daher kam seine alte Fingerfertigkeit zum Einsatz. Er hatte schon während des Fluges alles präpariert, hatte Stahldraht zurechtgebogen und eine Metallklammer angeschliffen, die er von einem Handgepäck abgerissen hatte. Auf dem Parkplatz am Flughafen Budapest-Ferihegy, wohin er Fazekas und seinem Begleiter folgte, suchte er dann nach einem geeigneten Wagentyp. Zu modern durfte das Auto für seine Kenntnisse nicht sein. Als er dann im strömenden Regen einen uralten dunkelblauen BMW entdeckte – ohne Fazekas und seinen kahlköpfigen Freund aus den Augen zu verlieren, die sich ununterbrochen unterhielten wie alte Klassenkameraden, die sich nach vierzig Jahren wiedertrafen –, durfte er rasch zu seiner Freude feststellen, dass seine Fähigkeit ungebrochen war, flott ein Auto zu knacken und es kurzzuschließen. Es sollte sich jedoch in naher Zukunft als Problem herausstellen, dass dieses Fahrzeugmodell nicht besonders kälteresistent war. Schon gar nicht in den rauen kalten Nächten Zentraleuropas.
Aber davon wusste er noch nichts. Was er hingegen wusste, war, dass irgendetwas nicht stimmte, als sie das Flughafenareal verließen – Fazekas’ roter Passat bog nämlich nach links ab, statt nach rechts auf die große Zubringerstraße zu fahren. Dabei zeigte ein gut lesbares Schild an, dass rechts die Bundesstraße 4 in das Stadtzentrum von Budapest führte. Aber sie fuhren nach links. Diese Straße führte zu einem Ort, dessen Name ihn an Tolkien denken ließ – Monor. Aber sie sollten Monor nie erreichen. Nach etwa fünf Kilometern bog der Passat nach Norden auf die Autobahn, die Europastraße 71, der sie eine Weile folgten, um erneut abzubiegen und weiter gen Norden zu fahren.
Gunnar Nyberg hatte ausreichend Zeit, verschiedene Gedanken in seinem Kopf hin und her zu bewegen. Ein phantastischer Buchtitel war entstanden: Aber sie sollten Monor nie erreichen. Aber er wälzte auch andere, etwas wichtigere Gedanken. In Ungarn war er noch nie gewesen, dabei war es für ihn das Land der Helden von 1989. Schon im Mai hatten die Ungarn als Erste die Grenzen geöffnet und damit den Weg nach Österreich frei gemacht, was schließlich zu dem bizarren Zusammenbruch des Ostblocks und dem Fall der Sowjetunion geführt hatte. Für Nyberg war Ungarn immer der westlichste aller Ostblockstaaten gewesen, der aufgrund seines zentraleuropäischen Hintergrunds dem Herzen Europas so viel näher stand. Österreich-Ungarn, die Habsburger, die Donau. Zentraleuropa.
Und so war es anfangs nach der Wende auch gewesen. Ungarn wurde zum Vorreiter der Westintegration. Aber kurz darauf folgte eine Krise nach der anderen, Schlag auf Schlag. Die Helden des Runden Tisches und ihre neu gegründete Opposition vom Sommer 1989 durchliefen diverse Wandlungen. Die konservative Partei Fidesz, Fiatal Demokraták Szövetsége – eine junge, demokratische Allianz, die 1988 unter anderem von dem damals sechsundzwanzigjährigen Viktor Orbán ins Leben gerufen wurde – spürte bald die Veränderung in der ungarischen Volksseele und wollte um jeden Preis mitmischen, lange bevor die »politische Triangulation« zu einem gängigen Terminus wurde. Sie erkannten, dass die Massen im neuen Millennium sich zu einer Seite hingezogen fühlten, zu den Jobbiks, den Neofaschisten. Wenn man an der Macht bleiben wollte, musste man sich mit den Rechtsextremisten zusammentun.
Vor nicht mehr als einer Woche hatte Ungarn seinen Ratsvorsitz in der Europäischen Union abgegeben. Als Ministerpräsident Viktor Orbán im Januar vor dem Europaparlament in Straßburg gesprochen hatte, war er von einigen Abgeordneten der
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