Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
hören?«
»Auf jeden Fall!«, sagte Holm.
»Etwas an dieser ganzen chinesischen Geschichte hat mein Interesse geweckt, weshalb ich mir, nicht ganz legal, Krankenhausdaten näher angesehen habe.«
»Sie haben meine hundertprozentige Aufmerksamkeit«, sagte Kerstin Holm.
Kommissar van der Heijden war vielleicht bisher kein besonders herausragender Polizist gewesen – offensichtlich hatte er seine polizeiliche Karriere damit verbracht, keinerlei Aufhebens von sich zu machen –, aber damit war es jetzt vorbei. Als er sprach, erinnerte er Kerstin Holm irgendwie an eine zehn Jahre jüngere Ausgabe von Paul Hjelm.
»Ich habe einen der Namen in den Krankenhausdaten von Rotterdam aus dem Frühjahr 2006 gefunden.«
»Einen Namen?«
»Von einem der Zwillinge. Es ist ein sehr aufschlussreiches Dokument.«
»Aufschlussreich?«
»Offenbar ist bei der Aufnahme im Krankenhaus etwas schiefgelaufen. Der Patient wurde zweimal registriert. Die Verletzungen waren relativ markant: gebrochene Metacarpophalangealgelenke und Rupturen des Musculus rectus abdominis – allerdings wurde dieselbe Verletzung im Abstand von fünf Minuten zweimal registriert, beim ersten Mal lückenhaft, beim zweiten Mal vollständig, samt Passnummer.«
»Ich glaube, ich kann Ihnen nicht ganz folgen«, gestand Kerstin Holm ehrlich.
»Ich habe es zuerst auch nicht verstanden«, gab van der Heijden zu. »Deshalb bin ich ins Krankenhaus nach Rotterdam gefahren und habe mir die handschriftliche Originalkartei angesehen. Der verletzte Dreizehnjährige hat sich zuerst als Wang Shuang angemeldet, dann änderte er seine Meinung aus irgendeinem Grund und nannte sich stattdessen Shuang Ricci. Auf diesen Namen lief auch sein amerikanischer Pass. Ich habe mit der Krankenschwester gesprochen, die damals in der Notaufnahme die Verletzung aufgenommen hatte. An den Fall selbst konnte sie sich nicht erinnern, hat aber erklärt, dass diese Frakturen und Rupturen typische Verletzungen bei Schlägereien seien. Da mein anatomisches Wissen nicht besonders ausgeprägt ist, bat ich sie, mir das genauer zu erläutern. Sie erklärte, es handele sich dabei um gebrochene Fingerknöchel und stumpfe Gewalteinwirkung auf die Bauchmuskeln.«
Kerstin Holm schwieg und versuchte die Information zu verdauen.
»Und seine Schmerzen haben ihn für einen Augenblick seine neue falsche Identität vergessen lassen?«
»So würde ich das sehen «, sagte van der Heijden.
»Ein amerikanischer Pass? Aus den USA?«
»Ja. Ich habe die Passnummer überprüft. Sie existiert natürlich nicht, der Pass war gefälscht. Zur Sicherheit habe ich seinen Namen durch alle Datenbanken gejagt: Shuang Ricci, amerikanischer Staatsbürger, geboren am 17. Januar 1992, so wie es im Pass angegeben war. Und das ergab in der Tat einen Treffer – einen etwas unerwarteten Treffer allerdings.«
»Sie haben immer noch meine ungeteilte Aufmerksamkeit.«
»Ein Shuang Ricci ist vor einem halben Jahr von New York aus in die Niederlande eingereist. Er hat eine gültige Arbeitserlaubnis.«
»Er ist hier?«, rief Kerstin Holm.
»Ich hatte einen Geistesblitz und habe dann nach einem Cheng Ricci gesucht. Es wäre ja durchaus möglich, dass die Zwillinge noch immer zusammen sind. Dasselbe Geburtsdatum. Und auch da landete ich einen Treffer. Ein Cheng Ricci ist eine Woche später mit dem Flugzeug von Detroit kommend in Schiphol gelandet.«
»Ich glaub es nicht!«
»Beide haben eine gültige Arbeitserlaubnis«, fuhr Kommissar van der Heijden fort. »Und beide haben dieselbe Adresse angegeben. Genauer gesagt diese hier.«
Als ihr der gründliche Kommissar einen gelben Post-it-Zettel mit einer handgeschriebenen Adresse reichte, hätte Kerstin Holm ihn am liebsten umarmt. Aber stattdessen fragte sie: »Wie heißen Sie eigentlich mit Vornamen?«
Van der Heijden antwortete: »Paul.«
Im Taxi auf dem Weg von Utrecht zu der Adresse in einem der Außenbezirke Amsterdams ging Kerstin Holm die neuen Informationen noch einmal durch. Am 12. Oktober 2005 waren die Zwillinge Wang Cheng und Wang Shuang in Schweden eingetroffen, nachdem man sie aus ihrer Heimatstadt Bengbu, rund achtzig Kilometer nordwestlich von Shanghai, entführt hatte. Sie gehörten zu einer großen Gruppe chinesischer Kinder, die mit exakt dem gleichen Gepäck nach Schweden einreisten und auf exakt die gleiche Weise aus ihren Flüchtlingsunterkünften verschwanden. Am 14. Oktober waren die Zwillinge aus dem Heim in Åkersberga spurlos verschwunden.
Bis heute.
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