Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
sich direkt unter der Überwachungskamera an der Gebäudefassade befinden, die auf den Haupteingang von Notos gerichtet war.
Während Söderstedt sich das Bild genauer ansah, stand Beyer auf.
»Ich gehe rüber«, erklärte sie in der Tür.
»Jetzt warte mal. Wir wissen doch noch gar nicht, wen wir hier vor uns haben. Eine Spionin? Sie könnte bewaffnet sein. Sei vorsichtig, Jutta.«
Aber kurz darauf tauchte Beyer bereits auf dem Bildschirm auf und überquerte die Straße.
»Verdammt«, sagte Arto Söderstedt ins Leere.
Jutta Beyer schlich auf das Nachbargrundstück. Sie meinte nämlich, das Gesicht des Eindringlings erkannt zu haben. Sie näherte sich der kleinen Gruppe von Bäumen bei dem Findling. Da spürte sie eine Pistolenmündung im Nacken.
»Kein Wort«, zischte eine Frauenstimme.
Beyer hob die Hände und flüsterte: »Ich bin’s, Kerstin. Jutta Beyer.«
*
Drei Augenpaare studierten das Handyfoto auf dem Bildschirm. Die beiden Männer mit dem asiatischen Aussehen sahen wie typische Leibwächter aus. Knallhart, eiskalte Profis bis in die Fingerspitzen.
»Du meinst also, sie wurden von Kindesbeinen an auf die Mafia eingeschworen?«
»Das ist eine Theorie«, sagte Kerstin Holm. »Sie wurden entführt und zu Soldaten erzogen. Ganz klassisch. Denkt an die afrikanischen Kindersoldaten, die gekidnappten Kinder in Uganda, die zu Auftragsmördern ausgebildet werden. Sie wachsen ohne Empathie und Mitleid auf. Natürlich sind sie vollkommen abgestumpft. Perfekte Mordmaschinen.«
»Dann haben wir es hier mit uneingeschränkter Loyalität zu tun«, schloss Jutta Beyer. »Komplette Gehirnwäsche, seit dem dreizehnten Lebensjahr.«
»Man kann und sollte den Begriff Gehirnwäsche hinterfragen«, sagte Söderstedt. »Ich bin der Meinung, dass es mit dreizehn schon etwas zu spät für eine komplette Persönlichkeitsveränderung ist. Sie könnten noch über Reste eines alten Gefühlsrepertoires verfügen und sich so ihre Menschlichkeit bewahrt haben.«
»Die Mafia erschließt sich immer neue Wege im Sklavenhandel der Gegenwart«, seufzte Beyer. »Ich glaube, mir wird übel.«
»Mir war noch nie anders.« Söderstedt nickte mit einem gutmütigen Lächeln.
»Könnte es sein, dass wir gerade einen Weg ins System gefunden haben?«, fragte Jutta Beyer nachdenklich.
»Mithilfe der Zwillinge?«, hakte Söderstedt nach. »Tja, es ist bestimmt nicht vollkommen undenkbar, dass eine Konfrontation mit ihrer kleinen Mama der knallharten Fassade zusetzt.«
»Ich habe Wang Yunli das Foto gemailt«, erklärte Kerstin Holm und sah von ihrem Mobiltelefon auf.
»Ohne Hinweise darauf, wo es aufgenommen wurde, hoffe ich«, sagte Söderstedt. »Wenn die Jungs gegenüber ihrer neuen Familie uneingeschränkt loyal sind, kann jeder noch so kleine Hinweis darauf, dass sie beobachtet werden, die ganze Überwachung zunichtemachen.«
»Ich habe Yunli nur gebeten, sich das Bild anzusehen«, sagte Holm. »In China ist es jetzt schon Nacht, es ist also nicht gesagt, dass sie heute noch antwortet.«
»Und wir brauchen auch etwas Zeit, um zu entscheiden, wie wir mit dieser neuen Situation am besten umgehen«, fügte Jutta Beyer hinzu.
Damit war die Diskussion beendet, und ihre Blicke richteten sich erneut auf die Bilder der Überwachungskameras. Das Gebäude auf der anderen Straßenseite wirkte vollkommen friedlich.
Krähenfüße
Ebeltoft, Dänemark, 7. Juli
Die Dänen sind das glücklichste Volk der Welt – das hatte eine große Studie kürzlich herausgefunden –, und diese Tatsache schienen die Opcop-Repräsentanten des Landes zu bestätigen. Während sie von Kopenhagen nach Norden Richtung Själlands Udde fuhren, zur direkten Fährverbindung nach Ebeltoft, hatte Sara Svenhagen den Eindruck, dass Mads Knudsen und Stine Østergaard vor Wohlbefinden förmlich strotzten. Knudsen war ein augenscheinlich unkomplizierter junger Mann mit dem Körper eines Schwimmers, seine Chefin Østergaard war zehn Jahre älter, sommersprossig und nicht sparsam mit unflätigen Ausdrücken. Svenhagen mochte beide auf Anhieb, sie waren das absolute Gegenteil des strengen Professors Niels Sørensen – dem sie noch nie begegnet war, und den sie womöglich ebenso gemocht hätte. Wenn auch auf eine andere Art.
Das Dänisch der beiden war allerdings schwer verständlich. Sie sprachen schnelles Kopenhagener Dänisch, das konsequent jede Pause zwischen den Worten ignorierte. In Saras Ohren vermischte sich alles zu einem einzigen langen Wort. Jorge Chavez
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