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Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)

Titel: Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arne Dahl
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Heilsarmee in dem ziemlich heruntergekommenen Stadtteil Hornstull eröffnet worden war. Und als die Jugendlichen an Louise Ahls Schulterklappen mit den Dienstgradabzeichen rissen, auf die so stolz war – und die Knöpfe quer durch den Waggon flogen –, da hatte sie dasselbe Gefühl wie im Sozialzentrum. Dieser unendliche Mangel an Dankbarkeit und Demut. So hatte sich das William Booth bestimmt nicht gedacht gehabt. Auf der anderen Seite konnte er nicht hundertfünfzig Jahre in die Zukunft sehen. Und wenn er das gekonnt hätte, wäre er sofort tot umgefallen, jedes Funkens Lebenskraft beraubt.
    In diesem desillusionierten Geisteszustand erreichte Leutnant Louise Ahl das Sozialzentrum der Heilsarmee in der Långholmsgatan. Während sie neue Knöpfe an ihre Uniform nähte, bereitete sie sich innerlich auf das übliche Szenario vor. Etwa eine halbe Stunde hatte sie noch Zeit, um das Frühstück vorzubereiten, die Kleiderkammer aufzuräumen, die Duschen zu säubern, die Tische fertig zu decken. Diese Aktivitäten waren friedvoll, die Ruhe vor dem Sturm. Dann einmal tief Luft holen und die Türen aufschließen. Manchmal stürmten die Leute im wortwörtlichen Sinne das Haus – direkt von der Straße, aus den Nachtasylen, aus ihrem Unterschlupf in Kellern und aus ihren seit Monaten nicht mehr bezahlten Mietwohnungen –, manchmal war es ein bisschen gemäßigter. Aber Waffen gab es immer. Meistens waren sie selbst gebaut. Als wäre das Leben ein ewig währender Kampf um Leben und Tod in einem Paralleluniversum, wie eine Szene aus dem Mittelalter, in der ein Zug sich selbst geißelnder Gestalten am Rand unserer Zivilisation vorbeizog. Und wenn die männlichen Soldaten im Zentrum zum vierten Mal an einem Tag Schlag- oder Stichwaffen der Besucher beschlagnahmten, dann wünschte sie sich manchmal, sie wären echte Soldaten. Mit richtigen Waffen.
    Aber sie waren Soldaten der Heilsarmee, doch solange Leutnant Louise Ahl einige Male in der Woche an ihren Auftrag erinnert wurde, war sie in der Lage weiterzumachen. Eines dieser Male war der Augenblick gewesen, als dieser sonderbare Fremde in schlechter Verfassung und halb nackt zur Tür hereingestolpert kam und sie auf diese noch sonderbarere Weise anstarrte.
    »Du kannst nicht dem von Gottes Liebe sprechen, der friert und hungert.« William Booths Worte hatten sich einst direkt in ihr Herz gebrannt. Sie passten so ausgezeichnet zu Bertolt Brechts Stücken, mit denen sie sich in den verschiedenen Theatergarderoben rund um Stockholm herumgeschlagen hatte. Da hatte sie gerade ihr Karatetraining aufgegeben und suchte die Nähe zum Theater, stürzte aber immer wieder in das tiefe Loch der Depression. Aber bei Brechts Losung »Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral« fehlte ihr ein wichtiges Element, Gottes Liebe. Und als sie es schließlich wagte, sich der Liebe Gottes ganz und gar hinzugeben, da wurde das Theater mit einem Mal zu dem, was es war, ein Schattenspiel. Plötzlich sah sie die Horden der Armen auf Stockholms Straßen, und sie fand ihre Berufung. Sie wollte den Armen helfen und damit im Dienst Gottes stehen, getreu dem Leitsatz der Heilsarmee: »Suppe, Seife, Seelenheil«. Wie eine Dreistufenrakete, lange bevor es eine solche überhaupt gab.
    Wahrscheinlich war der sonderbare Fremde noch nicht empfänglich für das Seelenheil, aber Suppe und Seife bekam er. Zuerst eine Dusche. Obwohl es Leutnant Louise Ahl nicht gestattet war, sich in den Duschräumen der Männer aufzuhalten, sah sie im Vorbeigehen flüchtig, wie sich das Wasser auf dem Fliesenboden rosa verfärbte. Ihr schoss die Frage durch den Kopf, wo er sich wohl verletzt hatte.
    Denn sie hatte ihn in Empfang genommen, als er Punkt neun mit Öffnung des Zentrums die Tür aufdrückte. Sie war die Erste, die in diese eigenartigen Augen gesehen hatte. Hinterher fand sie es mehr als sonderbar, dass ihr nicht sofort aufgefallen war, dass er blind war. Er bewegte sich, als würde er sehen können. Einen Augenblick lang war sie wie hypnotisiert von seinen erschreckend weißen Augen.
    Eigentlich hätte es sie aufregen müssen. Denn es geschah in letzter Zeit so häufig, dass Menschen seiner Herkunft einen Platz in ihrer Herberge suchten und die üblichen Klienten verdrängten. Und Leutnant Louise Ahl war nicht immer davon überzeugt, dass sie wirklich Not litten. Oft wirkten diese Zigeuner , wie sie jene Gäste in schwachen Momenten manchmal nannte, nicht bedürftig. Als würde es andere Mächte geben, die sich um

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