Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
auf diesen armen Mann gestürzt und ihn gehalten, während der hinfiel. Und ich wette, der hatte keinen Tropfen Blut mehr im Körper, als er auf dem Boden aufschlug.‹ Und Kims Schlusssatz lautet: ›Das ging alles so furchtbar schnell. Dieses plötzliche Chaos, alle waren wie auf der Flucht. Und der Mann blieb zurück in diesem riesigen See aus Blut.‹ Und zwar ziemlich genau hier.«
An der Stelle des Tatorts befand sich eine Luke von etwa einem halben Quadratmeter an der Wand, unterhalb des Plattenladenschildes. An der Hauswand und auf dem Bürgersteig konnte man die vagen Konturen des Blutflecks noch ausmachen.
»Und das ist dein Schlusswort?«, fragte Sara Svenhagen und betrachtete die Luke.
»Ja«, antwortete Jorge Chavez. »Sørensen war schon fünfzig Meter gerannt. Er sah seine Chance auf das Taxi schwinden, als sich Kim und Jamie darauf zubewegten. Er stürmte los. Dem Mörder gelang es irgendwie, Sørensen zu überholen. Er warf sich auf den Professor, schnitt ihm die Kehle durch, tastete ihn in Höchstgeschwindigkeit ab und verschwand, ehe ein einziger Zeuge Kleidung oder Statur erkennen konnte.«
»So weit richtig«, sagte Sara und hockte sich hin. Sie fuhr die blassen Konturen des Blutflecks mit dem Finger nach. Auf beiden Seiten der Luke waren Blutspritzer zu sehen. Sie runzelte die Stirn. »›Dieses plötzliche Chaos, alle waren wie auf der Flucht.‹ Beschreibt man so die Tat eines allein arbeitenden, sehr schnell agierenden Auftragskillers? Chaotisch? Wie auf der Flucht?«
»Ich kann dir gerade nicht folgen«, gab Chavez zu.
»Hier, auf beiden Seiten der Luke befinden sich Blutspritzer.«
»Die sehe ich«, sagte Chavez und wurde neugierig.
»Aber auf der Luke selbst ist kein einziger Tropfen zu erkennen.«
»Hm«, machte Chavez – wie Sherlock Holmes.
»Unser wichtigster Zeuge fehlt!«, schloss Sara Svenhagen.
»Hm. Der hier saß? Und sich vermutlich gegen die Luke gelehnt hat? Und so verhindert hat, dass sie mit Blut bespritzt wurde?«
»Bedeutet dann die Bemerkung, alle seien wie auf der Flucht gewesen, dass nicht nur der Mörder geflüchtet ist? Sondern auch unser wichtigster Zeuge?«
Chavez sah auf sein iPad und blätterte. Dann las er laut vor: »›Das war nicht meine Schuld, der sprang plötzlich auf die Straße, um das Taxi drüben bei dem Bettler zu kriegen.‹«
»Die Zeugenaussage des Fahrradfahrers.« Svenhagen nickte.
»Der Bettler!«, rief Chavez, ebenfalls nickend und folgerte: »Meine Frau ist ein Genie!«
»Das werden die Kollegen von der Stockholmer Polizei natürlich auch herausbekommen«, sagte Svenhagen und richtete sich wieder auf. »Die Frage ist, warum dieser Bettler genauso schnell geflüchtet ist wie der Mörder. Wenn auch etwas chaotischer.«
»Ein Illegaler«, schlug Chavez vor. »Einer, der nichts mit den Behörden zu tun haben will. Der allerdings über und über mit Blut besudelt sein muss. Er ist bestimmt jemandem auf dem Weg zur U-Bahn aufgefallen.«
»Vielleicht wollte er auch einfach nur schnell weg. Wohin auch immer, nur weg.«
»In jedem Fall gibt es ausreichende Gründe dafür, dass wir uns so schnell wie möglich mit Kim und Jamie Lindgren unterhalten.«
»Das wird Benno bestimmt übernehmen«, sagte Sara Svenhagen.
»Keine Frage, aber vielleicht schickt er danach seine beiden, ihm sehr vertrauten Kollegen vorbei, um ergänzende Fragen zu stellen? Einen Mann und eine Frau?«
»Nicht undenkbar«, entgegnete Sara Svenhagen und sah hinauf zu der unverdrossenen Sommersonne.
Die Armenschwester
Stockholm, 30. Juni
Leutnant Louise Ahl drehte dem traurigen Baustellenchaos vor dem Fenster den Rücken zu und sah in den Frühstücksraum. Sie konnte ihren Blick einfach nicht von dem sonderbaren Fremden abwenden, dem sie, aufgrund ihres Auftrags und ihrer Überzeugung, in den frühen Morgenstunden behilflich gewesen war. Als er unmittelbar nach Öffnung des Sozialzentrums durch die Tür gestolpert gekommen war – fast nackt und vollkommen hilflos –, hatte sie das als Zeichen von oben gesehen. Plötzlich stimmte in ihrem Leben wieder alles. Fast alles.
Denn am Morgen hatte Leutnant Louise Ahl bei ihrer Zugfahrt in die Stadt zur Södra Station erneut einer Jugendgang dabei zusehen müssen, wie sie die Passagiere terrorisierte, und da hatte sie für kurze Zeit der Glaube verlassen – nicht an Gott, niemals, aber an sein Abbild, an die Jugend, die Menschlichkeit, an die Einrichtung der Barmherzigkeit, die vor acht Jahren von den Soldaten der
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