Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
ungewöhnlich wäre.«
»Und ich habe ihn gehen lassen«, sagte Navarro grimmig. »Ich habe Miriam Hershey, die Meisterin im Beschatten, den Fleischschrank Ciprian verfolgen lassen – bis zu einem Spezialladen für kubanische Zigarren –, anstatt dass sie dem italienischen Mafiaboss bis zu ihrem lokalen, streng geheimen Hauptquartier gefolgt wäre.«
»Eure Vermutungen«, sagte Hjelm, »passen ausgezeichnet zu dem wahren Grund für diese Überwachung – von dem ihr bisher ja gar nichts Genaues wusstet. Zumal uns die türkische Polizei auch jetzt erst den Film zur Verfügung gestellt hat. Ich ahne, warum. Der musste wahrscheinlich ordentlich überarbeitet werden, um in der EU Bestand zu haben.«
»Türkisch?«, rief Angelos Sifakis.
»In der Türkei lebt die größte Bevölkerungsgruppe der Roma auf der ganzen Welt«, berichtete Hjelm. »Nur wenige wissen davon, zumal sie dort seit Jahrtausenden unbehelligt von Rassismus leben konnten. Im Osmanischen Reich zum Beispiel spielten die Roma eine wichtige Rolle als Pferdehändler und Korbmacher. Im 19. Jahrhundert begann dann auch dort die Unterdrückung wie in Europa. Im Zuge der Modernisierung der Städte wurden die Roma an die Peripherie gedrängt, im asiatischen Teil von Istanbul verwandelte sich das traditionelle Viertel der Roma, Sulukule, in ein gigantisches Roma-Getto. Heute gibt es Pläne der Stadt, dieses Gebiet dem Erdboden gleichzumachen. Wir sprechen von der Vertreibung von etwa einer Million Roma in einer der größten Städte der Welt, und wir im Westen bekommen davon nichts mit.«
»Dagegen wirken die Ausweisungen Frankreichs ja geradezu milde«, sagte Arto Söderstedt.
»Sulukule ist mittlerweile neben Rumänien zu einer der wichtigsten Rekrutierungsgegenden für Bettlersklaven geworden«, fuhr Hjelm fort. »Und von dort stammt auch dieser Film. Es ist das Polizeiverhör von Burak Korkmaz, dem höchsten Tier des türkischen Zweigs der Mafia, das man je zu fassen bekommen hat.«
Auf der Whiteboard-Tafel erschien jetzt ein Standbild von einem Mann an einem Tisch. Sonst war niemand zu sehen, obwohl man die Anwesenheit von mindestens einem weiteren Mann erahnte. Ein dunkler Raum. Gefesselte Hände, gekettet an einen im Boden verankerten Metalltisch. Der Schweiß läuft dem Mann über Stirn und Nase, teilt sich wie bei einem Flussdelta und trägt Schmutz über die Wangen hinunter zu den Mundwinkeln.
Als der Film begann, war Türkisch zu hören mit einer englischen Übersetzung im Hintergrund.
Der Wortlaut der ersten Sequenz, in der Burak Korkmaz mit regungsloser, eiskalter Miene dasaß und kurz angebunden antwortete, lautete: »Wer sind deine Auftraggeber?«
»Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»An wen verkaufst du die Sklaven weiter?«
»Sklaven? Ich?«
»Wir haben dich auf frischer Tat ertappt!«
»Und wobei bitte?«
»Als du dir gerade ein paar Behinderte aus einem Verschlag im Getto kaufen wolltest.«
»Ich habe niemanden gekauft. Ich habe nur mit meinem Geld dazu beigetragen, dass diese armen Teufel ein besseres Leben bekommen. Das nennt man humanitäre Arbeit.«
»Und inwiefern wird ihr Leben besser?«
»Bessere Schulausbildung, zum Beispiel, bessere Gesundheitsversorgung.«
»Wo erhalten sie eine bessere Schulausbildung und Gesundheitsversorgung?«
»Ich habe Kontakte. Sie müssen raus aus ihrem schädlichen Umfeld.«
»Und deshalb haben wir dich mit zwölf behinderten Zigeunern aufgegriffen, zur Hälfte noch Kinder, auf dem Weg, den dreizehnten zu kaufen?«
»Genau.«
»Du bist dir sicher, dass du es auf diese Weise haben willst?«
Schnitt. Als Burak Korkmaz wieder im Bild erscheint, hat sich sein Aussehen verändert. Sein Gesicht ist zwar gesäubert worden, aber es ist aufgeschwollen, und wo vorher Schweiß lief, tropft jetzt Blut. Die Stimme aus dem Hintergrund hingegen klingt unverändert.
»Wollen wir es noch einmal von vorn versuchen? Wer sind deine Auftraggeber?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«
»Willst du wirklich einfach so weitermachen? Findest du nicht, dass du eine Pause benötigst?«
»Auftraggeber ...«
»Das hört sich schon viel besser an.«
»Was glauben Sie denn, was ich mache?«
»Wir glauben nichts, wir wissen, was du machst. Aber wir wissen nicht, für wen du es tust. Und das genau wollen wir wissen.«
»Ich mache das auf eigene Rechnung.«
»Du sorgst also dafür, dass die behinderten Zigeuner als Bettler in den verschiedenen europäischen Städten installiert werden, und zwar
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