Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
war unauffindbar. Die Suche wurde bis zum Einbruch der Dunkelheit fortgesetzt.«
»Sehr schade, aber da kann man nichts machen«, meinte Hjelm und nahm die Hand seiner Lebensgefährtin. »Jetzt müssen wir hinunter zur Konferenz. Wir sehen uns heute Nachmittag. Wer die Einweihung schwänzt, muss eine Woche mit Marinescu in Amsterdam die Stellung halten.«
Als sie die neuen, besonders gesicherten Räume der Opcop-Gruppe verlassen hatten, sagte Paul zu Kerstin: »Du warst so still.«
»Es hat mir Spaß gemacht, dir bei der Arbeit zuzusehen«, erwiderte seine Partnerin mit einem Lächeln auf den Lippen. »Ich bin ja wegen der Konferenz in Den Haag!«
So war der Morgen verlaufen. Mittlerweile war es Nachmittag, und Paul Hjelm hatte sich in dem großen Saal des Europol-Gebäudes eingefunden, wo die niederländische Königin Beatrix auf der Bühne stand und eine verdeckte Gedenktafel enthüllte. Der aufbrausende Applaus holte ihn in die Wirklichkeit zurück.
Das neue, umwerfende Hauptquartier der Europol war jetzt offiziell eingeweiht.
Er sah die Reihe hinunter und betrachtete die Mitglieder seiner Opcop-Gruppe. Neues Gebäude, neue Ära, neue Aufgaben. Und auf sie wartete, wie die Konferenzteilnehmer in den Abschlussvorträgen erfahren durften, eine neue Qualität des grenzüberschreitenden organisierten Verbrechens.
Als Königin Beatrix gerade unter tosendem Applaus die Bühne verließ, um eine Spezialführung durch das Gebäude anzutreten, spürte Paul Hjelm das Vibrieren seines Handys in der Jackentasche. Es war eine SMS, und die lautete: »Aus der Decodierungseinheit, Europol. Alles deutet darauf hin, dass wir den Code geknackt haben. Cheers, Tom.«
Paul Hjelm hatte keine Ahnung, wer dieser Tom war, dankte ihm aber in Gedanken herzlich.
Na also, dachte er und applaudierte der Königin mit neu gewonnener Kraft.
Seine Kollegen drehten sich zu ihm um und sahen ihn an.
Skeptisch.
Der Spindoktor
Brüssel, 1. Juli
Als sie den Ausdruck Spindoktor zum ersten Mal gehört hatte, war sie davon ausgegangen, es ginge dabei um Gleichgewichtsstörungen, um einen Arzt also, der etwas gegen Schwindelgefühle tun konnte und die wilden Drehungen des Gehirns anhielt. Nachdem sie dann erfahren hatte, was mit dem Begriff tatsächlich gemeint war, erkannte sie, dass sie mit ihrer Deutung nicht ganz so weit von der Wahrheit entfernt gewesen war. Natürlich in sehr übertragenem Sinne: Der Spindoktor war jemand, den man engagierte, um ein verloren gegangenes Gleichgewicht wiederherzustellen. Das hatte allerdings nicht im Geringsten mit Medizin zu tun, eher im Gegenteil. Es handelte sich um politische Schadensminimierung.
Ihr natürlicher Widerwillen gegen gekaufte Loyalität – von Anwälten bis hin zu Lobbyisten – verhinderte lange, dass sie sich einen Spindoktor zulegte. Erst als sie die Spielregeln der hohen Politik begriff, wurde ihr klar, dass es in dieser Medienwelt höchste Zeit für eine neue Sorte von politischem Ratgeber war.
Ihr Spindoktor stand am Fenster des Berlaymont-Gebäudes und starrte auf die Hauptstadt der EU. Er hatte seine Fingerkuppen aneinandergelegt, hob die Hände an den Mund und tippte mit den Zeigefingern gegen seine Lippen. Dann schüttelte er den Kopf, nahm zum wiederholten Mal das Mobiltelefon zur Hand und betrachtete das Bild.
Zuerst hatte sie nicht gewusst, was sie davon halten sollte. Es hätte auch ein misslungener Scherz sein können, Ergebnis eines nächtlichen Saufgelages oder eines mehr oder weniger mentalen Zusammenbruchs. Natürlich war schon allein die Tatsache, dass diese Aufnahme dort draußen kursierte – losgelöst, aus dem Nebel aufgetaucht –, mehr als beunruhigend. Aber bisher kam ihr die Sache zu abstrakt vor. Es war eine abstrakte Bedrohung. Außerdem völlig unerwartet. Sie hatte sich so wohlgefühlt. Vergnügen daran gehabt, neue Menschen kennenzulernen, die sie in so kurzer Zeit ins Herz geschlossen hatte. Und dann das, Peng!
Vierundzwanzig Stunden hatte sie sich in diesem Zustand der Verweigerung befunden, unwillig, dieses Foto mit etwas anderem als einem Scherz in Verbindung zu bringen. Sie verharrte in dem Gefühl, dass es sich doch noch als dummer Streich entpuppen würde. So ein altes Foto ...
Das Leben ging einfach weiter. Die morgendliche Sitzung mit den Lobbyisten der Kernkraftindustrie folgte den immer gleichen Argumentationsmustern:
»Wollen wir wirklich auf diese selbstmörderische Art und Weise die umweltfreundlichste Energiequelle abschaffen, die
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