Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
die Menschheit je gesehen hat?«
»Unseren Kindern, Enkeln und Urenkeln Tonnen der tödlichsten Materie zu hinterlassen, die die Menschheit je gesehen hat, ist also Ihre Definition von umweltfreundlich?«
»Eine Endlösung der Endlagerung steht kurz vor dem Abschluss.«
»Haben Sie gerade Endlösung gesagt?«
»Marianne, es ist unter Ihrem Niveau, sich an einzelnen Wörtern aufzuhängen.«
Und doch war sie die ganze Zeit merkwürdig abwesend, als hätte sie einem Schauspieler ihren Körper überlassen und säße nun im Publikum und beurteilte die Umsetzung der Rolle – mit sehr kritischen Augen. Geliehene Zeit, es fühlte sich an wie geliehene Zeit, als würde eine Zündschnur langsam abbrennen.
Der Wagen hatte sie Dienstagnacht abgeholt. Es folgte eine lange und unruhige Reise auf dem Rücksitz von Amsterdam nach Brüssel. Im Laufe des Mittwochs – nach dem morgendlichen Treffen mit den Lobbyisten und bei der Bewältigung zahlloser anderer Aufgaben – nahm die Unruhe deutlich zu. Es wurde immer wahrscheinlicher, dass es mit dem Projekt zusammenhing.
Schließlich hielt sie es nicht mehr länger aus und nahm Kontakt zu der Forschergruppe auf. Aber sie erreichte den Professor nicht auf seinem inoffiziellen Handy – offenbar hatte er es im Büro liegen lassen. Vielleicht sollte sie ihn auf der offiziellen Leitung anrufen, trotz des Verbotes. Aber sie wagte es nicht. Die offizielle Kontaktaufnahme war strengstens untersagt. Sie sprach kurz mit seinem Stellvertreter, Virpi, und dem Laborchef Jovan, beide erreichte sie auf ihren inoffiziellen Handys. Es gab kein Anzeichen für eine Bedrohung. Nichts Ungewöhnliches. Abgesehen von der Beendigung der Testreihe. Alles war bereit. Sie erwarteten ein letztes Ergebnis einer unabhängigen Instanz, und sobald Niels dieses freigegeben haben würde – der letzte Unsicherheitsfaktor –, wäre das Projekt endgültig abgeschlossen. Sie würde ihre Rede halten können. Sie würde ihren Gesetzesentwurf durchsetzen können.
Aber klang Virpis Stimme nicht irgendwie komisch?
Die Nacht auf Donnerstag war schlaflos. Diese unerträgliche Ahnung, dass etwas nicht stimmte. Jede Viertelstunde musste sie den Impuls unterdrücken, Niels auf seiner offiziellen Nummer anzurufen. Schließlich tat sie es trotz des Verbots, über ihre sichere Telefonverbindung. Aber Niels’ Telefon war ausgeschaltet. Sie landete direkt auf seiner Mailbox, auf der sie natürlich keine Nachricht hinterließ.
Dann folgte der nächste Morgen. Erschöpft zum gemeinsamen Frühstück mit anderen EU-Kommissaren. Small Talk über die ständigen Querelen mit Straßburg. Sie versuchte so entspannt wie möglich zu wirken. Dann traf die SMS ein.
Von Jovans inoffiziellem Handy. Knapp und präzise: »Professor Sørensen tot. Ermordet. Heute morgen um acht. Weiß nichts Genaues. Jovan.«
Von alldem wusste inzwischen auch ihr Spindoktor, der jetzt vor ihr stand. Sie saß auf dem bequemen Sofa von der hervorragenden ehemals schwedischen, jetzt chinesischen Marke Endymion. Er drehte sich zu ihr um, runzelte die Stirn und sagte auf Französisch: »Marianne Barrière, was soll ich nur mit dir machen?«
»Hier geht es gar nicht um mich«, antwortete die EU-Kommissarin für Umwelt.
»Ich weiß besser als jeder andere, worum es hier geht«, erwiderte ihr Spindoktor. »Die Frage ist, wohin man unterwegs ist. Aber es geht nicht allein darum, den Kurs zu halten, man muss auch wissen, von welcher Seite der Wind wehen kann, damit man kreuzen kann und vorwärtskommt. Aber in einem Orkan ist es verdammt schwer, die richtige Windrichtung zu finden.«
»Das war eine schöne Metapher, vielen Dank«, sagte Marianne Barrière. »Ich möchte dich bitten, mich von solchen Spindoktor-Klischees zu verschonen.«
»Als ich anfing, für dich zu arbeiten, konnte ich ja nicht ahnen, was für eine Feuerprobe das hier werden würde. Ich hatte gedacht, es wäre vorbei, nach deiner politischen Navigation, über die man in der Zukunft Doktorarbeiten schreiben wird. Stattdessen hat es gerade erst angefangen.«
»Ich weiß, dass du sehr kompetent bist, Laurent ...«
Der Spindoktor schüttelte den Kopf und sah erneut auf das Handydisplay.
»Hier geht es nicht mehr nur um Kompetenz«, sagte er. »Wir reden von einem Wunder. Was meinst du, wie deine heimlichen Unterstützer, die wir alle mit viel Mühe aus dem christdemokratischen Eismeer gefischt haben, auf das hier reagieren werden?«
Er drehte das Handy und hielt ihr das Foto hin, auf
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