Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
dem sie ihr junges Ich in unbeschreibliche Aktivitäten involviert sah.
»Wie um alles in der Welt hast du überhaupt dieses Kunststück bewerkstelligt?«
»Genug jetzt«, unterbrach ihn Marianne Barrière, mit einer Ruhe, die sie selbst überraschte. »Gib mir das Handy.«
Ein wenig kleinlaut reichte ihr der Spindoktor den Apparat.
»Ich gehe davon aus, dass es sich um eine einmalige Jugendsünde handelt?«
»Es trifft zu, dass ich sehr jung war.«
»Meine Frage lautet: Könnten noch mehr Aufnahmen dieser Art existieren?«
»Ich wusste nicht einmal, dass dieses Foto existiert.«
»Das ist keine Antwort.«
»Ich weiß es nicht«, sagte Marianne Barrière aufrichtig.
Der Spindoktor warf verzweifelt die Arme in die Luft und rief: »Was hast du bloß in deiner Jugend für einen Scheiß gemacht?«
»Dasselbe, was ziemlich viele junge Männer gemacht haben. Niemand würde die Augenbraue heben bei einem Foto von einem Jüngling in einer ähnlichen Situation. Das ist aber nicht richtig.«
»Dein Job ist das Streben nach Idealen. Danach, den Zustand von Dingen zu verändern. Mein Job ist es, die Dinge genau so zu nehmen, wie sie sind. Mein Job ist die Realität.«
»Und ich werde dir jetzt verraten, wie es mit der Realität in diesem Fall steht. Die Realität ist, dass Professor Niels Sørensen in Stockholm auf offener Straße brutal ermordet wurde. Das ist die Realität, nicht alberne Bilder aus meiner Jugend.«
»Aber so naiv bist du doch nicht, Marianne.«
»Naiv? Du bist naiv, wenn du nicht begreifst, worum es hier geht. Das ist ein Zweifrontenkrieg, Laurent. Dieser Gesetzesentwurf, den ich durchbekommen will – mit deiner Hilfe, das gebe ich zu –, soll offenbar um jeden Preis verhindert werden.«
»Ich kann den Zusammenhang zwischen dem Mord und dem Foto nicht hundertprozentig herstellen«, sagte der Spindoktor und schnitt eine Grimasse.
»Hast du das Obduktionsprotokoll gelesen?«
»So etwas gehört nicht zu meiner bevorzugten Literatur, Marianne.«
»Dann muss ich dich als äußerst nachlässig bezeichnen, Laurent. Das war ein Mord auf offener Straße, ein gewaltsamer, brutaler Mord im morgendlichen Stoßverkehr. Die Sorte Mord, die geifernde Überschriften erzeugen. Es ist wahr, dass der Mord an Niels auch zufällig den Abschluss der Forschungsarbeit verzögert – es gibt abschließende Prüfergebnisse, die nur vom Forschungschef abgezeichnet werden können –, aber nach ihm wird ein neuer Chef ernannt werden. Und sobald dieser im Amt ist – und es wird aller Wahrscheinlichkeit nach Virpi –, wird alles weiter seinen Gang gehen. Das war also nicht der Hauptgrund für den Mord.«
»Da irrst du dich gewaltig, Marianne. Hier geht es um Schadensminimierung und den Versuch, diesen Ball möglichst lange im Spiel zu lassen, bis zu deiner Rede und der Abstimmung. Also darf das Foto – oder die Fotos? – nicht an die Medien gelangen. War da überhaupt kein Absender?«
»Der Mord sollte Virpi, Jovan und den anderen Angst einjagen und sie zum Schweigen bringen«, fuhr Marianne Barrière schonungslos fort. »Wenn sie es nicht wagen, die Forschungen abzuschließen, wird es keine Abstimmung geben. Meine Rede wird ruhen, und die große Reform bleibt aus. Du bist naiv, Laurent, wenn du nicht erkennst, welche Kräfte hier mit im Spiel sind, welche Kräfte wir dadurch geweckt haben.«
»Ich habe dich gewarnt ...«
»Und du hast gesagt, dass du damit umgehen kannst.«
»Diese Dimensionen habe ich nicht voraussehen können.«
»Aber es ist dein Job, alles vorherzusehen, Laurent. Bis zu meiner Sommerrede sind es noch knapp zwei Wochen. Da muss alles zur Sprache kommen – danach gibt es kein Zurück mehr. Dann wird der Präsident der Europäischen Kommission die Sache in seiner ›Rede zur Lage der Union‹ im September vor der Plenarsitzung des Europäischen Parlaments erörtern. Du weißt so gut wie ich, dass dies der entscheidende Moment ist. Danach wagt es keine der Nationen, ihre Stimme zurückzuziehen.«
»Das wollten wir ja auch bezwecken.«
»Dann müssen wir der Wahrheit mutig ins Gesicht sehen.«
Der Spindoktor, dessen vollständiger Name Laurent Gatien lautete, sah erneut aus dem Fenster, und erst nach einer ganzen Weile sagte er: »Wir wussten genau, mit wem wir es zu tun bekommen. Uns ist es nur nicht gelungen, die Sache geheim zu halten.«
»Wenn man Hunderte von Europaparlamentariern überzeugen will, ist es nahezu unmöglich, allen die Schweigepflicht abzuverlangen. Das
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