Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
für Ciprian, aufzustehen und ins Schlafzimmer zu gehen. Er machte Vlads Doppelbett und schüttelte dabei sogar die Kissen aus. Dann kehrte er ins Wohnzimmer zurück, wo Fleischschrank Zwei – sobald sich Vlad auf den Weg ins Badezimmer gemacht hatte – das Schlafsofa auszog. Dann warteten sie, bis Vlad im Bad fertig war, ohne ein weiteres Wort im Schlafzimmer verschwand und die Tür hinter sich schloss. Er machte es sich in seinem Bett bequem – zum Glück trug er Unterhosen – und las noch ein paar Seiten in einem Buch. In der Zeit tauschten Pistole und Buch ihren Platz auf dem Nachttisch. Kaum hatte Vlad seine Zimmertür geschlossen, machten sich auch die beiden Leibwächter für die Nacht fertig. Manchmal kam es vor – unter sorgfältig gewahrtem Schweigen –, dass sie sich eine Flasche Wodka teilten, während sie sich auf ihrer jeweiligen Hälfte der homophob geteilten Matratze des Schlafsofas einrichteten.
Diese drei Rumänen waren wahrhaft seltsam. Marinescus Landsmänner, offensichtlich routinierte und hoch dotierte Mafiosi, waren in keinem Register zu finden. Kein einziger Fingerabdruck war irgendwo registriert. Er begriff nicht, wie das möglich war.
Vlads Gähnen war auch für Marinescus jeweiligen Partner der Abendschicht in der Wohnung der Reederwitwe Bezuidenhout das Zeichen zum Aufbruch. Das war zur Routine geworden. Danach blieb Adrian Marinescu allein in der Wohnung zurück.
Allein mit seinen Gedanken. Gedanken über Rumänien, über Rassismus, über den tief verankerten Hass auf die Roma, über Hass und Ungerechtigkeit im Allgemeinen, über die EU, über den Wunsch, etwas Größerem und Bedeutsameren anzugehören als dem eigenen Land. Was ihn aber noch mehr beschäftigte als die Gedanken, war das Gefühl von Scham.
Und als er sich mit dem Headset auf dem kahlen Schädel auf sein ungemütliches Feldbett legte, musste er an ebendieses Schamgefühl denken. An seine unglaubliche Erleichterung, dass er die Miete für eine eigene Wohnung einsparen konnte. Diesen großzügigen EU-Monatslohn – gemessen an rumänischen Verhältnissen – und den Überstundenzuschuss würde er im Großen und Ganzen unangetastet an seine Frau und die Kinder nach Bukarest schicken können. Sie würden ihre relativ große Wohnung halten können. Und je nachdem, was Europol für seine Zukunft vorsah, plante er, äußerst karg und sparsam zu wohnen, um auch in den kommenden Monaten so viel wie möglich nach Hause schicken zu können. Damit seine Familie auch bald aussah wie echte Europäer.
Adrian Marinescu war gut im Observieren. Ihm entging selten etwas, und jetzt durfte ihm wirklich nichts entgehen. Nicht die kleinste Kleinigkeit. Trotz der nationalen und internationalen Korruption war es ihm aus eigenen Stücken gelungen, diese Chance zu erhalten und zu ergreifen. Er durfte in Gedenken an all das Blut, das in Transsilvanien vergossen worden war, auf keinen Fall scheitern. Vor allem nicht, nachdem er zusammen mit Donatella Bruno die Observierungsmöglichkeiten optimiert hatte. Als die drei Sklavenhändler einmal alle gleichzeitig das Wohnzimmer verlassen hatten, war es ihnen gelungen, die Kameras neu zu justieren, sodass sie jetzt auf den Computermonitor auf dem Schreibtisch zeigten. Bisher hatte ihn Vlad zwar nicht benutzt, aber immerhin bestand jetzt die Möglichkeit, ihn dabei zu beobachten.
Während Marinescu vor sich hindöste – die Lautstärke für das Headset so hochgedreht, dass er beim kleinsten Schnarchen wach werden würde –, reisten seine Gedanken nach Bukarest zu seiner Familie. Die große Tochter hatte gerade mit der Schule begonnen, seine Frau schuftete in einer Fabrik, die ihre besten Zeiten schon längst hinter sich hatte. Adrian Marinescu wollte unbedingt ein richtiger Europäer werden, und er war auf dem Weg dorthin. Aber es würde noch lange dauern, bis er sich nicht mehr als der geduldete Anverwandte aus der Pampa fühlen würde.
Er justierte ein letztes Mal die Lautstärke für seine Kopfhörer, bevor er einschlief.
Zeitgleich kam Donatella Bruno in ihrer kleinen Einzimmerwohnung in einem der älteren Stadtviertel von Den Haag an. Reglos blieb sie im Flur stehen und wartete, bis sich in der anfangs pechschwarzen Dunkelheit schwache Konturen abzeichneten. Sie wollte kein Licht anschalten, sondern setzte sich im Dunkeln auf ihr einziges richtiges Möbelstück, ihr Schlafsofa. Dort blieb sie eine Weile sitzen und dachte an ihren Vorgänger Fabio Tebaldi. Sie sah ihn vor sich,
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