Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
stand eine Tasse mit dampfendem Tee.
Kerstin Holm zog das Reagenzglas aus der Jackentasche, goss die Flüssigkeit in die Teetasse und verließ den Raum sofort wieder. Fünf Sekunden, höchstens. Zügig ging sie den Flur hinunter. Beyer sah es aus dem Augenwinkel. Sie verabschiedete sich von Liang Zunrong. Der kehrte in sein Zimmer zurück und schloss die Tür.
Beyer rannte Holm hinterher. »Wir wissen erst, ob er den Chip zu sich genommen hat, wenn er sich in Bewegung setzt.«
Sie warteten in Kerstin Holms Wagen. Beyer öffnete ihren Laptop und lud ein Programm hoch.
»Da ist der sogenannte Blip, ein Peilsender.«
Sie zeigte auf den Monitor. Auf einem Kartenausschnitt von Utrecht blinkte ein blauer Punkt. Beyer zoomte näher heran, bis Kerstin Holm die Straßennamen lesen konnte. Schließlich erkannte sie sogar das lang gestreckte weiße Gebäude vor sich wieder. Und der Punkt blinkte mitten in diesem Gebäude.
»Jetzt heißt es warten«, sagte Beyer, nachdem sie das Bild maximal herangezoomt hatte.
Die Stunde verstrich furchtbar langsam. Verzweifelt suchten sie nach einem Gesprächsthema. Immer wieder schienen sie eines gefunden zu haben, doch es hielt nicht lange vor. Sie kannten einander zu wenig.
Dann endlich geschah etwas mit dem blauen Punkt. Zwar bewegte er sich nicht, aber er bekam auf einmal sonderbare Schatten. Und dann machte er einen kleinen Sprung, einen Schritt.
Die Tür der Flüchtlingsunterkunft öffnete sich. Eine hagere Gestalt kam heraus. Sie ging durch den kleinen Garten auf das Gartentor zu. Ihren Gang konnte man nicht als energisch bezeichnen, aber er war doch zielsicher, als würde der Junge genau wissen, wohin er wollte.
Beyer folgte dem blinkenden Punkt auf dem Rechner. Die Übereinstimmung mit dem Kartenausschnitt war perfekt. Es gab keinen Zweifel mehr daran, dass der zwölfjährige Liang Zunrong den Mikrochipsender heruntergeschluckt hatte.
Er trat hinaus auf die Straße und bog nach rechts. Sie sahen ihm hinterher, bis er aus ihrem Sichtfeld verschwand.
Kerstin Holm startete den Motor.
»Wir müssen herausbekommen, wer ihn abholt«, sagte sie.
Jutta Beyer nickte. »Wahrscheinlich geht es hier nur um kleine Fische. Aber fahr los. Sei vorsichtig.«
Holm fuhr. Behutsam. Sie hatten gerade wieder auf Sichtweite aufgeschlossen, als der Junge um die nächste Ecke bog. Er machte keinerlei Anstalten, sein Handy zu benutzen, auch das gehörte zum Schema. Der Wagen näherte sich langsam der Straßenecke. Nur wenige Meter entfernt sahen Beyer und Holm ein Taxi stehen.
Das Taxischild erlosch, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Der blinkende Punkt auf Beyers Monitor nahm deutlich an Geschwindigkeit zu. Wortlos drehte Holm um und fuhr zurück zur Flüchtlingsunterkunft. Sie ließ Beyer an ihrem Wagen aussteigen und sagte: »Wir bleiben in telefonischem Kontakt. Und Abstand wahren.«
»Alles klar«, entgegnete Beyer und fixierte die Herzdame ihres Chefs. Dann fügte sie zu ihrer eigenen Überraschung hinzu: »Wettrennen?«
»Wettrennen?«, fragte Holm skeptisch.
»Zwei Perspektiven sind besser als eine.«
»Aber ich habe keinen Plip.«
»Blip«, korrigierte Beyer. »Und doch, den hast du. Du hast doch den Rechner dabei. Ich schicke dir gleich den Link.«
Kerstin Holm musste unweigerlich laut loslachen. Sie klappte ihren Laptop auf. »Aber kein Fehlstart, Jutta«, mahnte sie.
Auch Jutta Beyer lachte laut. Aber sie hielt sich nicht daran.
Jutta Beyer gewann. Zumindest war sie der Ansicht, dass sie als Erste ankam. Sie sah eine imaginäre Zielgerade vor sich, als sie ihren Wagen auf dem Seitenstreifen parkte und sich auf den Weg ins stillgelegte Industriegebiet von Buiksloterham machte.
Es war später Nachmittag. Die Strecke zwischen Utrecht und Amsterdam war flach und ziemlich stark befahren. Auf der Ebene lagen die Dörfer, Kleinstädte und Vororte dicht gedrängt in der Sonne, und der blinkende Punkt hatte sich durch die verschiedenen Ortschaften geschlängelt. Wahrscheinlich hatte der Junge mehrfach das Fahrzeug gewechselt. Die Frage war nun, wann sie sich sicher genug fühlten, um anzuhalten. Wann der kleine Chinese die Erlaubnis erhalten würde anzukommen – und damit einen wichtigen lokalen Standort des sich stetig ausdehnenden europäischen Sklavenhandels preiszugeben.
Als Beyer im Nachhinein den Weg des Peilsenders analysierte, erinnerte er sie stark an den Faden des Wollknäuels, mit dem ihr Katzenjunges vor ein paar Tagen gespielt hatte. Sie hatte das Kätzchen
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