Neid: Thriller (Opcop-Gruppe) (German Edition)
in Spanien spielte.
Vor einiger Zeit hatten sie beide eine vorübergehende erschwingliche Bleibe in Den Haag gesucht. Sie hatten es eilig gehabt umzuziehen, damit sie ihre Posten bei der neu eingerichteten, geheimen Europol-Einheit antreten konnten, die noch gar keinen Namen hatte. Und ihnen gefielen die Zimmer im Studentenwohnheim, es gab keinen Grund, dort wieder auszuziehen.
Bis vor Kurzem. Bis sich Miriam zu Laimas großer Verwunderung mit diesem Knastbruder zusammengetan hatte. Sie fragte sich ernsthaft, was er ihr geben konnte. Vielleicht »heilte« er sie?
Laima Balodis brauchte niemanden, der sie heilte. Sie hatte auch keine Albträume wegen der Ereignisse in Spanien. Dafür hatte sie – und das überraschte sie dann doch – einen kurzen, aber nicht weiter erschütternden Albtraum mit Paul Hjelm gehabt. Sie saßen zusammen und unterhielten sich. An einem ihr unbekannten Ort. Er war wie immer freundlich und zuvorkommend. Aber dann bemerkte sie plötzlich etwas Ungewöhnliches in seinem Mund. Sie konnte dem Gespräch gar nicht folgen, denn sie war so darauf konzentriert herauszufinden, was er da in seinem Mund hatte. Dann erkannte sie, was es war.
Es war ein Vampirzahn. Hinter den anderen Zähnen versteckt.
Sie hatte keine Lust, sein hit man zu sein.
Das halbe Jahr als Undercoverprostituierte in dem verrufenen Hafenviertel von Klaipėda hatte sie verdammt hart gemacht. Sie war der Neuling gewesen, die einzige Person in der litauischen Kriminalpolizei, die diesen Job übernehmen konnte. Ein paar Wochen Intensivtraining, um es milde auszudrücken, und dann auf in den Kampf. Hure spielen. So schlimm kann es kommen in dieser Welt. Die reinste Tortur, aber ohne doppelten Boden, vierundzwanzig Stunden täglich das Risiko, enttarnt zu werden, gepaart mit einem Dasein, das an sich schon pure Lebensgefahr darstellte. Nach ein paar Monaten kam das Verlangen nach Drogen. Die Notwendigkeit, sich zu betäuben. Sie widerstand der Versuchung. Fand andere Strategien. Wusste, dass ihr Auftrag zeitlich begrenzt war. Und sie kam der Menschenschmuggelmafia immer weiter auf die Spur. Zu dieser Zeit war sie todgeweiht und jederzeit bereit zu sterben. Die Lebensbedrohung wurde zum Alltag. Hinterher war es schwer, dem wieder zu entkommen. Das Dasein schien unwirklich. Diese unerträgliche Ruhe des Seins. Mit Ehrungen überhäuft, als Heldin gefeiert, zog sie nach Den Haag und wurde Europol-Polizistin.
Jetzt wurde ihr zum ersten Mal bewusst – und das war vielleicht ein Anzeichen dafür, dass sie ins normale Leben zurückfand –, dass sie in zwei zurückliegenden Opcop-Fällen einen großen Beitrag geleistet hatte. Das musste vorerst genügen. Auf der anderen Seite wusste sie auch, dass es wieder Zeit für ihre Albträume war. Die ersten Sonnenstrahlen des Morgens fielen durch ihre gardinenlosen Fenster, und dennoch wusste sie, dass die Zeit für die Dunkelheit gekommen war. Sobald der Gedanke an Klaipėda auftauchte. Dagegen konnte sie nichts tun.
Laima Balodis drehte sich um und legte ihre Hände an die Wand. Es war gut zu wissen, dass Miriam auf der anderen Seite lag. Nur wenige Zentimeter von ihr entfernt.
Felipe Navarro wunderte sich darüber, dass sein Sohn immer von den ersten Sonnenstrahlen wach wurde. So war es von Anfang an gewesen. Im Winter war er später aufgewacht und dann immer früher, je näher der Sommer rückte. Jetzt hatten sie Hochsommer, und wenn die Sonne durch die Spalten in der Holzjalousie blinzelte, wachte der Junge auf. Man konnte die Uhr nach ihm stellen.
Navarro tat noch etwas ganz anderes. Er richtete sein Leben nach ihm aus.
Eigentlich wäre es nicht weiter ungewöhnlich gewesen, dass sein Sohn beim ersten Sonnenlicht aufwachte. Viele Säuglinge reagierten empfindlich auf jede Art von Veränderung. Aber Felipe Navarros Sohn war eben blind zur Welt gekommen.
Erst als Navarro realisiert hatte, dass sich sein Sohn am Stand der Sonne orientierte, hatte er aufgehört, ein naiver Rationalist zu sein. Es gab einfach Dinge, die man nicht verstehen konnte. In den vergangenen Monaten mit seinem Sohn hatte er mehr gelernt als in seinem bisherigen Leben. Der Junge hatte ihm Türen geöffnet, von deren Existenz er nicht einmal geahnt hatte.
Wie oft hatte er versucht sich vorzustellen, wie es wohl sein mochte, nichts sehen zu können, ein Leben lang. Wie es war zu sterben, ohne einen einzigen optischen Sinneseindruck erlebt zu haben. Sich in das einzufühlen war ihm unmöglich.
Er erhob sich von
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