Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - Ironside, V: Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - The Virginia Monologues
übernachtet.«
Ich kam mir vor wie in einem Horrorfilm, von fremden Eindringlingen verfolgt und gequält. Und zu allem Übel getraute ich mich kaum, die Miete zu verlangen.
Jetzt klebe ich einfach kleine gelbe Post-its an die Treppe, auf denen steht: » Schätzchen, die Miete ist fällig. Könnte ich sie bis Donnerstag haben? Und das Radio sonntags vor neun Uhr bitte nur auf Zimmerlautstärke!«
Als neulich irgendwo im Nachbarhaus eine wilde Party stattfand und die ganze Straße wach hielt, habe ich mir einfach meinen Morgenmantel übergeworfen, bin in meine Pantoffeln geschlüpft und rübergegangen. Ich habe Sturm geläutet und den Rowdys ordentlich Bescheid gestoßen. Es gebe schließlich Leute, die nachts schlafen wollen, sagte ich, das ganze W ohnviertel zum Beispiel, und ob sie nicht zumindest die Güte hätten, die Fenster zu schließen. Nicht mal eine Gruppe Teenager, die auf der Treppe saßen und mich auslachten, hat mir was ausgemacht.
Ich war immer tolerant, was das Rauchen in meinem Haus betraf– im ganzen Haus, selbst im Garten. A ber wenn sich jetzt jemand zum Rauchen rücksichtsvoll in den Garten zurückziehen will, dann sage ich: » Nein, das kommt gar nicht infrage! Sie können gefälligst im Haus rauchen– es stehen ja genug A schenbecher rum! W äre ja noch schöner, wenn Sie draußen im Garten ein Schwätzchen mit anderen Rauchern halten würden– ohne mich! A ußerdem mag ich den Geruch.«
Und schließlich, der letzte Nagel im Sarg meiner Schüchternheit: ich in einem Tanzsaal. A lle sitzen verlegen an ihren Tischen, keiner traut sich als Erster auf die Tanzfläche. Und was macht V irginia? Sie schnappt sich den nächstbesten gutaussehenden alten Herrn und legt mit ihm einen flotten Foxtrott aufs Parkett! (Und ja, ich gehe mittlerweile zum Tanztee, na und?)
Restaurants
Früher habe ich in Restaurants Essen, das ich einfach nicht runterkriegte, lieber unter einem Blatt Salat versteckt, als den Kellner zur Rede zu stellen – Essen, für das ich bezahlte! Heutzutage jedoch kann ich ungenießbare Speisen ohne mit der W imper zu zucken zurückschicken. Dabei bin ich aber keine alte Schreckschraube, ich versuche nicht, die Kellnerin zu demütigen, und ich schreie auch nicht laut nach dem Küchenchef. Ich setze vielmehr ein freundliches Lächeln auf und sage: » Tut mir leid, Schätzchen, aber ich fürchte, der Fisch ist ein klein wenig verdorben.« Manchmal sage ich auch: » Ach, seien Sie doch so nett, Darling, und lassen Sie diese Suppe für mich aufwärmen. Sie ist eher von der lauwarmen Sorte.« (Wenn die Speisen dann in einem besseren Zustand zurückkommen, kann man natürlich schon mal großzügig sein und sagen: » Sie sind ein Engel! Tut mir leid, dass ich Ihnen so auf die Nerven falle.« Oder etwas in der A rt. Sie können ruhig lachen und mich für eine verrückte alte Schachtel halten, aber auf diese W eise kriege ich immer, was ich will.)
Tatsächlich glaube ich allmählich selbst, dass ich mich in eine verrückte alte Schachtel verwandle. Immer wenn ich eine Servicenummer anrufe oder bei der Stadtverwaltung oder sonst wo (außer natürlich bei meinen engsten Freunden), sage ich immer als Erstes: » Ich bin Rentnerin!« Ich glaube, wenn ich ein bisschen älter bin, werde ich noch » und ich habe Krebs!« hinzufügen, damit man mir auch ja die A ufmerksamkeit schenkt, die ich verdiene.
Fremde
Ich lächle gerne wildfremde Leute an. Und mit »Lächeln« meine ich nicht dieses ängstlich-manische V erziehen der Gesichtsmuskeln– das manchen alten Damen ja permanent im Gesicht steht (frei nach dem Motto: » Bitte seid nett zu mir!«). Mir blutet jedes Mal das Herz, wenn ich eine solche A ltersgenossin sehe. Ich denke dann immer, dass sie als Kind wahrscheinlich fürchterlich unterdrückt und misshandelt wurde.
Mittlerweile traue ich mich sogar, jemanden anzugrinsen, der eher bedrohlich wirkt. Mit einem richtig strahlenden Grinsen, das alles andere ist als ein nervöses Zucken der Mundwinkel. Ich kriege zwar nicht oft ein Lächeln zurück, aber das macht nichts. Ich lächle sogar Hooligans an, diese Sorte Jugendlicher mit Kapuzen-Sweatshirts. Frei nach dem Motto: » Hallo, Darling!« Das sage ich zwar nicht, aber ich denke es: Hallo, du Engel! Ich bin eine alte Dame, und ich kann dich anlächeln, denn ich bin überhaupt keine Bedrohung für dich!
Sie machen mir keine Angst mehr
Ich nehme andere Menschen mittlerweile nicht mehr als Bedrohung wahr. A ber das ist noch lange nicht
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