Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - Ironside, V: Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - The Virginia Monologues
Kindheit tatsächlich noch gelegentlich vorkam.)
» Und dann natürlich die Bombardierungen im Krieg, die waren ohrenbetäubend laut (woran ich mich natürlich nicht mehr erinnern kann, obwohl ich während eines Luftangriffs auf die W elt kam), und am Ende wurde jeder einberufen… ich kann euch sagen, das war ganz schön hart, damals in den Schützengräben. Ich selbst war im Frauenkorps und schon in der ersten Nacht verirrte ich mich im Niemandsland…« (Erstunken und erlogen, aber unwiderstehlich, jetzt wo einem das Publikum mit offenem Mund zuhört.)
» Und dort habe ich dann meine erste gebratene Ratte gegessen…«
Für die Jungen scheint die V ergangenheit ein fremdes Land zu sein, sie haben keine V orstellung davon, was der Unterschied zwischen dem Ersten und dem Zweiten W eltkrieg ist. Ich habe manchmal das Gefühl, ich könnte ebenso gut behaupten, bei der Schlacht von Hastings dabei gewesen zu sein und einen Trupp Bogenschützen ins Feld geführt zu haben– mein junges Publikum würde mich höchstens mit aufgerissenen A ugen anstarren und vielleicht denken: Mein Gott, die muss ja wahnsinnig alt sein… trotzdem, einfach toll…
Die Gefahr, dass Sie auffliegen, ist übrigens ziemlich gering. Denn die wenigen, die ganz genau wissen, dass Sie gerade ausgemachten Blödsinn verzapfen, sind natürlich viel zu höflich, um etwas Gegenteiliges zu sagen, und haken Sie im Stillen als verrückte alte Schachtel ab.
Anders gesagt: Man kann so mürrisch und unleidlich sein, wie man will, einfach nur deshalb, weil man alt ist. Man kann stundenlange Monologe über den besten W eg nach Basingstoke halten– ob über die A40 und dann an Stonehenge vorbei ( » Was die nur daraus gemacht haben! Ich kann mich noch erinnern, als man bis zu den Steinen hingehen und sie anfassen konnte!«)oder besser über die M 4 bis zur A usfahrt nach Salisbury.
Wenn man in einem Hotel übernachtet, kann man darauf bestehen, ein ganz bestimmtes Frühstück vorgesetzt zu bekommen, einfach weil man » das immer isst«. Man kann genau dann vor dem Postamt erscheinen, wenn es morgens öffnet und darauf bestehen, dass alle anderen A nwesenden eine ordentliche W arteschlange bilden.
Man kann sagen: » Ich gehe nie zu McDonald’s« oder » Ich singe in der Kirche nie mit« oder » Ich verschicke nie W eihnachtskarten« oder » Ich kaufe nie die Daily Mail« oder » Ich schaue niemals fern«, als wären dies unumstößliche Prinzipien, ohne die man kein aufrechter Charakter wäre und die man niemals, niemals brechen würde. (Ich persönlich bin der A nsicht, dass diese rigide Haltung mancher alter Menschen aus A ngst heraus gepflegt wird: Sie denken, wenn sie nur an dem festhalten, woran sie immer geglaubt haben, dann versinken sie nicht in den Strudeln dessen, was sie als das Chaos des modernen Lebens wahrnehmen.)
Selbst der verhältnismäßig junge Cosmo Landesman schrieb in seinen Memoiren (Titel: Starstruck ), nachdem er eine sauertöpfische Bemerkung gemacht hatte:
Wenn ich Dinge wie diese schreibe, komme ich immer ins Grübeln: Trauere ich einer W elt nach, die es vielleicht nie gab? Und ist es wirklich der Zustand Englands, auf den ich mich beziehe oder vielmehr mein eigener? V ielleicht werde ich langsam, aber sicher ja einfach ein mürrischer alter Griesgram, der glaubt, dass alles immer schlimmer wird. A ber wenn das wahr wäre, dürfte niemand mehr Kritik an der heutigen Zeit üben, ohne sich eines senilen Pessimismuses beschuldigen zu lassen. Dabei könnte man durchaus recht haben mit dem, was man sagt, und die Probleme der heutigen Zeit genau richtig einschätzen.
Genau das ist übrigens der Grund, warum es so viel Spaß macht, ein mürrischer alter Griesgram oder eine alte Meckertante zu sein: w eil prinzipiell immer die Möglichkeit besteht, dass man recht haben könnte. Die W elt könnte ja tatsächlich kurz vor dem Untergang stehen. W enn ich für jedes Mal, in dem mir jemand gesagt hat, dass wir uns so dekadent verhalten wie die römische Zivilisation kurz vor ihrem Untergang, eine warme Mahlzeit gekriegt hätte, dann müsste man mich jetzt mit einer W inde aus meinem Schlafzimmerfenster hieven, damit ich kostenlos den nächsten Bus nehmen und zur nächsten A potheke fahren könnte, um kostenlos mein Tablettenkontingent aufzufüllen.
Und was die V erderbtheit der heutigen Jugend betrifft– das Meckerthema Nummer eins der A lten–, sollte man einen Blick in den preisgekrönten Essay von Reverend Henry W orsley werfen,
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