Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - Ironside, V: Nein! Ich geh nicht zum Seniorentreff! - The Virginia Monologues
Äußerungen habe ich die mehr oder weniger interessanten Ergüsse meines Gegenübers gewürzt.
Doch nun stelle ich zunehmend an mir fest, dass meine Hemmungen, ganz ehrlich zu sagen, wenn mich jemand langweilt, bröckeln. Ich merke, wie die mir eingetrichterte Höflichkeitsdoktrin zu bröseln beginnt. Ich komme mir manchmal vor wie der archetypische alte Seebär, der sich mit blitzenden A ugen die nächstbeste arme Seele greift, die ihm über den W eg läuft, und zu faseln beginnt– meistens natürlich über die gute alte Zeit.
Das Schöne an der ganzen Sache ist, dass es so vieles gibt, was junge Menschen heutzutage nicht wissen! Sie zeigen nämlich einen erstaunlichen Mangel an Interesse, wenn es um Dinge geht, die sich vor ihrer Zeit abspielten (übrigens verhalten sie sich damit nicht anders als ich selbst in meiner Jugend). Ob sie wüssten, dass George Formby vor allem in der Sowjetunion ein Star war?, frage ich sie mit Unschuldsmiene. Dass Norman W isdom in A lbanien eine Berühmtheit war? Und Jimmy Clitheroe in A frika?
» Du weißt natürlich nicht mehr, wer Jimmy Clitheroe war… A lso, das war ein kleines Kerlchen, das immer so tat, als ob es ein junger Bursche wäre. Er trat in kurzen Hosen und Schirmmütze auf und redete mit einer ganz komischen Stimme, ungefähr so…«
Wenn Sie so weit gekommen sind, könnte es gut sein, dass die A ugen Ihres Gegenübers schon langsam glasig werden, aber für Sie gibt es jetzt kein Halten mehr: Sie imitieren hemmungslos jeden Komiker ihrer Jugend, der Ihnen in den Sinn kommt. Ich habe neulich sogar Max Miller für einen ahnungslosen jungen Menschen imitiert. Obwohl Max Miller vor meiner Zeit war. Und ich eigentlich gar nicht wusste, wie er sich anhörte.
Die meisten jungen Menschen verstehen nur Bahnhof, wenn man mit ihnen Konversation machen will. Sie wissen nicht, wer Tschechow war, und Tolstoi haben sie ohnehin nicht gelesen. W enn man anmerkt, diese oder jene Dame besitze eine » Rubensfigur«, erntet man einen verständnislosen Blick. W as im Klartext für uns Oldies bedeutet, dass wir endlos über Themen referieren können, von denen die Jungen keine A hnung haben. Oder noch besser: von denen wir selbst vielleicht genauso wenig A hnung haben.
Am besten funktioniert dieses Prinzip, wenn man mit einer allgemeingültigen W ahrheit beginnt: » Als ich jünger war, gab’s noch keine Computer. W ir mussten alles mit Schreibmaschinen schreiben. Da hat man ein Blatt Papier eingespannt und drauflosgehackt. Die Dinger hatten damals aber keine leichten Tastaturen wie die Rechner heute– sondern so richtig schwere Tasten, und am Zeilenende hat es immer ›ping!‹ gemacht. Kopierer gab es damals übrigens auch noch nicht. Man musste Kohlepapier zwischen zwei Blätter legen, und wenn man sich vertippte, musste man den Fehler mit weißer Flüssigkeit und einem Pinselchen übermalen…
Als ich ein Kind war, bin ich immer zum Fischgeschäft um die Ecke gelaufen und habe Eisblöcke gekauft, die wir dann in unseren Eisschrank taten– Kühlschränke gab’s nämlich noch nicht, und abends ist immer ein Mann auf einem Fahrrad durch die Straße geradelt, mit einer langen Stange hat er die Gaslaternen angezündet, eine nach der anderen… Ich weiß noch, als es an Obst nur Äpfel und Orangen zu kaufen gab. Und Olivenöl musste man sich beim A potheker abfüllen lassen. V on Knoblauch hatten wir noch nie was gehört– und es gab natürlich keine Mikrowellenherde… ach ja, und der Nebel! W usstet ihr übrigens, dass alleinstehende Frauen keine Hypotheken aufnehmen und sich beispielsweise ein Haus kaufen durften?…
Ihr werdet es mir nicht glauben, aber früher gab es tatsächlich noch so was wie Busschaffner. Die stempelten kleine farbige Papptickets ab… und es gab weder Handys noch A nrufbeantworter. W enn man einen wichtigen A nruf erwartete, musste man eben daheimbleiben und warten…
Es gab weder Supermärkte noch A utobahnen, weder Teebeutel noch Instantkaffee, weder vorgeschnittenes W eißbrot noch Tiefkühlkost– oder überhaupt Fertiggerichte–, weder Kartoffelchips noch Plastik, keine CDs, keine A ntibabypille, keine Turnschuhe, kein Starbucks… könnt ihr euch das vorstellen? Nein, natürlich nicht.«
Nach einer solchen V orrede können Sie in den Bereich des Halbschwindels vordringen: » Als ich jung war, gab es noch keine A ntibiotika. Man konnte an einer einfachen Infektion krepieren.« (Nun ja, ich kann mich erinnern, dass das in meiner frühen
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