Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)
nämlich Ihre eigentliche Intention, das zu schützen, was Ihnen am meisten am Herzen liegt.
Halt: Gehen Sie auf den Balkon und verschaffen Sie sich einen klaren Kopf
Wir haben nicht die geringste Chance, andere zu beeinflussen, wenn wir nicht in der Lage sind, zuallererst einmal uns selbst und unsere eigenen Reaktionen und Gefühle zu kontrollieren.
Es ist nur natürlich, auf beleidigendes Verhalten oder unangemessene Forderungen mit Wut zu reagieren. Aber Wut macht uns blind. Wer in einer solchen Situation seinem ersten Impuls folgt und einfach nur Nein sagt – wütend, manchmal sogar rachsüchtig –, der verliert allzu leicht sein eigentliches Ziel aus den Augen, das darin besteht, die eigenen Interessen zu vertreten und durchzusetzen. Auch Angst kann uns daran hindern, unsere Ziele zu verfolgen. Wir stellen uns im Voraus vor, wie unser Gegenüber auf unser Nein reagiert. Was wird der Betreffende von uns denken oder uns antun? Was geschieht mit unserer Beziehung, mit dem Geschäft und inwieweit sind unsere Belange dadurch gefährdet? Wir sind gelähmt vor Angst und reagieren mit Anpassung: Wir geben unsere Bedürfnisse auf. Schuldgefühle haben eine ähnliche Wirkung. »Ich habe kein Recht, Nein zu sagen.« »So viel Zeit für mich habe ich nicht verdient.« »Die Bedürfnisse des anderen sind wichtiger als meine eigenen.« Wut macht blind, Angst lähmt und Schuldgefühle können schwächen.
Die erste Herausforderung besteht also darin, uns zunächst einmal mit uns selbst auseinanderzusetzen. Rufen Sie sich das Beispiel des Mannes ins Gedächtnis, der zu seinem dominanten Vater und Vorgesetzten Nein sagte. Um es mit Johns eigenen Worten zu formulieren: »Ich stellte mich nicht meinem Vater , sondern ich stellte mich meinen eigenen Ängsten !« John erkannte ganz richtig, dass das eigentliche Hindernis, das ihm bei der Erfüllung seiner Wünsche im Weg stand, nicht sein Vater war, sondern seine Furcht. »Als ich mit ihm sprach, hatte ich den Hauptteil der aktiven Auseinandersetzung schon hinter mir. Und genau das ist der springende Punkt. Die eigentliche Aktivität besteht darin, im Innern für sich selbst einzutreten. Erst dann sagt man nach außen hin Nein.«
Diese innere Aktivität beginnt damit, dass Sie innehalten. Das ist überaus wichtig, denn es unterbricht Ihre natürliche Reaktion, verschafft Ihnen Zeit zum Nachdenken und erlaubt Ihnen auf diese Weise, Ihr Ja zu enthüllen. Sie können eine Sekunde, eine Stunde, einen Tag oder so lange innehalten, wie es Ihnen notwendig erscheint. Was zählt ist, dass Sie die Situation erst einmal aus einem anderen Blickwinkel betrachten, bevor Sie mit Ihrem Nein fortfahren.
Ich benutze in diesem Zusammenhang gern die Metapher des Balkons. Auf dem Balkon verschaffen Sie sich einen klaren Kopf. Er verhilft Ihnen zu einer abgeklärten, losgelösten Geisteshaltung, wann immer Sie es wollen. Stellen Sie sich einen Augenblick lang vor, Sie wären ein Schauspieler auf der Bühne und sollten Ihren Text sprechen – Ihr Nein. Und nun stellen Sie sich vor, Sie stünden auf dem Balkon, von dem aus Sie die ganze Szene aus der Distanz beobachten könnten. Der Balkon ist ein Ort, um sich die richtige Perspektive zu verschaffen, ein Ort der Ruhe und Klarheit. Von der Balkonperspektive aus ist es viel leichter, das Ja hinter Ihrem Nein zu enthüllen.
Diese Lektion lernte ich erst wirklich schätzen, als ich Mitte der 90er Jahre gebeten wurde, als Vermittler bei den schwierigen Gesprächen zwischen Russland und Tschetschenien zu fungieren, um Möglichkeiten auszuloten, wie der tragische Tschetschenienkonflikt beendet werden könnte. Die Verhandlungen fanden im Friedenspalast in Den Haag statt, im gleichen Konferenzsaal, in dem das Internationale Strafgericht für das ehemalige Jugoslawien (das UN-Kriegsverbrechertribunal) tagte. Der tschetschenische Vizepräsident begann seine lange Rede mit einer Reihe von lautstarken Anschuldigungen gegen die Russen. Er betonte, dass die Russen wunderbar in diesen Konferenzsaal passten, denn sie stünden sicher bald selbst wegen Kriegsverbrechen vor Gericht. Dann wandte er sich an mich, sah mir in die Augen und begann, mich anzugreifen: »Und ihr Amerikaner habt den Russen bei ihren Kriegsverbrechen geholfen! Außerdem verletzt ihr das Recht auf Selbstbestimmung der Puerto Ricaner!« Während er mit seinen Anklagen fortfuhr, blickten die übrigen Konferenzteilnehmer mich erwartungsvoll an. Wie würde ich reagieren? Würde ich zu seinem
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