Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)
Rundumschlag Nein sagen?
Ich fühlte mich in die Defensive gedrängt und fand, dass er vom eigentlichen Thema ablenkte. Ich dachte: »Die Wendung, die dieses Gespräch nimmt, gefällt mir gar nicht. Warum greift er ausgerechnet mich an? Ich versuche doch nur zu helfen. Puerto Rico? Was weiß denn ich von Puerto Rico?« Ich hatte das Gefühl, reagieren zu müssen. Sollte ich mir diese Behandlung gefallen lassen? Sollte ich es ihm mit gleicher Münze zurückzahlen? Oder sollte ich gar nichts sagen?
Glücklicherweise gab mir die Zeit, die die Übersetzer benötigten, Gelegenheit, innerlich auf den Balkon zu gehen. Ich holte tief Luft und versuchte, mich zu beruhigen. Ich rief mir ins Gedächtnis, dass unser eigentliches Ziel darin bestand, den Menschen in Tschetschenien und Russland Frieden zu bringen. Das war mein Ja. Auf dieser Basis konnte ich dem Schwall von Anklagen, der uns nirgends hinführte, mit einem Nein entgegentreten.
Als ich mit der Antwort an der Reihe war, wandte ich mich also mit folgenden einfachen Worten an den tschetschenischen Vizepräsidenten: »Ich habe Ihre Kritik an meinem Land vernommen und nehme sie als Zeichen, dass wir uns hier unter Freunden befinden und offen miteinander sprechen können. Ich weiß, dass Ihre Leute schrecklich gelitten haben. Wir haben uns heute hier versammelt, um einen Weg zu finden, wie wir dem Leiden und Blutvergießen in Tschetschenien ein Ende bereiten können. Lassen Sie uns deshalb überlegen, welche praktischen Schritte wir heute unternehmen können, um unserem Ziel näher zu kommen.« Damit brachte ich das Gespräch wieder in sein ursprüngliches Gleis. Indem ich auf den metaphorischen Balkon trat, konnte ich mein Ja enthüllen.
Nehmen Sie sich eine Auszeit
Heutzutage ist Zeit zum Nachdenken die knappste Ressource. Suchen Sie nach Gelegenheiten, um, wann immer es möglich ist, auf den Balkon zu gehen und über Ihr Ja zu reflektieren. Um sich eine solche Auszeit nehmen zu können, gibt es einige recht praktische Floskeln. So könnten Sie auf eine unangemessene Forderung mit folgenden Worten antworten:
»Tut mir leid, aber das ist jetzt nicht der geeignete Zeitpunkt, um darüber zu reden. Lassen Sie uns das Thema heute Nachmittag erörtern.«
»Ich werde darüber nachdenken. Ich komme morgen noch einmal auf Sie zu.«
»Ich muss mich mit meinem Partner beraten.«
»Lassen Sie mich zunächst noch ein Telefonat führen, um noch etwas zu überprüfen.«
Auf Beleidigungen empfehlen sich Antworten wie:
»Warum machen wir nicht eine kleine Pause?«
»Fünf Minuten Pause.«
»Würden Sie mich bitte entschuldigen? Ich brauche dringend noch einen Kaffee.«
Achok, einer meiner tibetanischen Freunde, sagte einmal zu mir: »›Ja‹ und ›Nein‹ sind ausgesprochen wichtige Worte, aber genauso wichtig ist der Satz ›Warten Sie einen Augenblick‹. Manchmal weiß man einfach nicht, ob man mit Ja oder Nein antworten soll. Dann ist es das Beste, sich Zeit zu verschaffen, um eine Entscheidung treffen zu können.« Achok hatte Recht. Bevor man Nein sagt, ist es häufig klüger, erst einmal um eine Pause zu bitten.
Während dieser Auszeit sollten Sie das Zimmer verlassen. Nutzen Sie den Moment der Ruhe, um nachzudenken oder sich mit einem Kollegen zu beratschlagen. Stellen Sie sich vor, Sie müssten mit einem Kunden verhandeln, der auf einem Ihrer Ansicht nach unrealistischen Abgabetermin besteht. In seiner Anwesenheit würden Sie vielleicht automatisch zustimmen, aber nach einem Telefonat mit einem Kollegen könnte Ihnen klar werden, dass dies ein Fehler wäre. Sich selbst die Gelegenheit zum Nachdenken zu geben, bevor man antwortet, kann den Unterschied zwischen einem reaktiven Ja und einem aktiven Nein ausmachen.
Bei Wut oder Angst sollten Sie einen Spaziergang machen oder Zuflucht zu Ihrer Lieblingssportart nehmen. Durch Muskeltraining und das Ankurbeln des Kreislaufs wird Ärger abgebaut und Angst reduziert. Danach sind Sie ruhig und ausgeglichen genug, um Nein sagen zu können.
Achten Sie auf Ihre Emotionen
Unsere negativen Gefühle sind dafür verantwortlich, dass wir lediglich reagieren und nicht agieren. Angst und Schuld haben Anpassung oder ausweichendes Verhalten zur Folge, während unsere Wut zum Angriff führt. Wer seine Gefühle auslebt, kann seine eigentlichen Ziele nicht mehr verfolgen. Das Unterdrücken von Emotionen ist jedoch genauso wenig eine Lösung. Sie verschwinden nämlich nicht so einfach, sondern schwelen unter der Oberfläche weiter
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