Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)
dieses Untiers ist Streit. Schlag es, und es wächst. Lass es in Ruhe, und es nimmt wieder seine ursprüngliche Größe an.«
Athene erinnert Herkules daran, wie wichtig es ist, nicht überzureagieren, sondern auf Kurs zu bleiben. Lassen Sie vom Streit ab. Ob Sie nun angreifen oder nachgeben – in beiden Fällen handelt es sich um eine Reaktion. Sie sind nicht mehr auf Kurs, konzentrieren sich nicht mehr auf Ihr Ziel, nämlich auf den Schutz Ihrer Hauptinteressen und Bedürfnisse. Wer nachgibt, belohnt das Fehlverhalten des anderen. Wer zum Gegenangriff übergeht, verstärkt es. In beiden Fällen unterbrechen Sie einen wichtigen Prozess: die Akzeptanz Ihres Neins durch Ihr Gegenüber.
Sie haben die Wahl. In dem Augenblick, da Sie auf die Reaktion des anderen reagieren, setzen Sie einen Teufelskreis aus Aktion und Reaktion in Gang, der für immer fortbestehen kann. Die Alternative besteht darin, nicht zu reagieren, sondern Ihrem eigentlichen Ja treu zu bleiben. Konzentrieren Sie sich auf das, was Ihnen am Herzen liegt. Mit anderen Worten: Gehen Sie auf den Balkon.
Gehen Sie auf den Balkon
In Kapitel 1 habe ich es bereits beschrieben: Der Balkon ist ein mentaler Ort der richtigen Perspektive, Ruhe und Selbstbeherrschung. Wer auf den Balkon geht, behält sein Ziel im Auge.
Halten Sie inne, bevor Sie antworten
Bewahren Sie angesichts der Wut und Panik des anderen Ruhe, die für Sie beide ausreicht. Ihre Ruhe kann ebenso ansteckend sein wie der Zorn oder die Furcht Ihres Gegenübers. Denken Sie daran durchzuatmen – in kritischen Momenten neigen wir dazu, unbewusst den Atem anzuhalten und unserem Gehirn den Sauerstoff vorzuenthalten, den es benötigt, um klar zu denken. Holen Sie also ein oder zwei Mal tief Luft, bis Sie wieder auf dem Boden der Tatsachen stehen. Halten Sie inne, bevor Sie antworten.
Bewusst und tief durchzuatmen ist eine einfache Technik, die eine physiologische Realität widerspiegelt. Zorn verursacht Herzrasen und einen erhöhten Blutdruck: Das Blut fließt schneller vom Gehirn zu unseren Extremitäten, damit wir flüchten oder kämpfen können. Dies ist nicht der beste Zeitpunkt, um Entscheidungen zu treffen. Indem wir innehalten, und sei es auch nur für wenige Sekunden, und ein paar langsame, tiefe Atemzüge tun, können wir unseren Puls verlangsamen und unsere verspannten Muskeln entspannen. Dann sind wir in der Lage, uns effektiver darauf zu konzentrieren, welche Antwort unseren Interessen am ehesten dient.
Kein Geringerer als Thomas Jefferson gab diesen Ratschlag in jenem mörderisch heißen Sommer des Jahres 1789, als Delegierte der Constitutional Convention – des Verfassungsausschusses – in Philadelphia mit den Grundsätzen und Formulierungen kämpften, die für die junge Nation gelten sollten. In hitzigen Debatten traten die Delegierten für ihre Interessen und Werte ein und sagten immer wieder Nein zu einzelnen Punkten. Inmitten dieser Auseinandersetzungen hatte Thomas Jefferson einen Rat für seine Kollegen parat: »Wenn Sie wütend sind, zählen Sie bis zehn. Wenn Sie sehr wütend sind, zählen Sie bis 100.«
Im modernen Zeitalter der E-Mails ist der verführerischste Button auf dem Bildschirm die Schaltfläche »Antworten«. Wenn der andere auf unser Nein mit einer wütenden Mail reagiert, fühlen wir uns sogleich versucht, eine scharfe Erwiderung zu verfassen und auf »Antworten« zu klicken. Oder noch schlimmer: Wir wählen »Allen Antworten «, wodurch der Konflikt rasch eskaliert und außer Kontrolle gerät. Bei der Antwort auf die Reaktion unseres Gegenübers ist die beste Schaltfläche auf dem Bildschirm »Speichern«. Formulieren Sie, speichern Sie ab und schauen Sie sich Ihren Text eine Stunde – oder besser einen Tag – später noch einmal ein. Dann fragen Sie sich, welche Antwort Ihren Interessen am ehesten dienlich ist. »Speichern« ist die Balkon-Schaltfläche.
Ehe ich mich zu einer impulsiven Reaktion hinreißen lasse, erinnere ich mich gern an den Lieblingssatz eines meiner Seminarteilnehmer. Dieser ältere Chirurg hatte es sich zum Prinzip gemacht, seinen Assistenten folgenden Rat zu geben, wenn diese bei einer Operation in Hektik geraten: »Machen Sie langsam. Wir haben es eilig!« Gerade weil man keine Zeit zu verlieren hat, keine Zeit für Fehler hat, muss man langsamer werden. Gerade, wenn wir schnell vorankommen wollen, müssen wir langsam gehen.
Nennen Sie das Spiel beim Namen
Während Sie vom Balkon auf das herabblicken, was unter Ihnen auf der
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