Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)
Konsequenzen informieren, die eintreten, falls diese Ihr Nein nicht respektieren. Mit dem Begriff Erziehung meine ich in diesem Zusammenhang nicht, dass Sie selbst in die Rolle des Lehrers schlüpfen sollen. Der wahre Lehrmeister ist die Situation selbst. Dadurch, dass der andere sich weigert, Sie und Ihre Bedürfnisse zu respektieren, ergeben sich für ihn ein paar Konsequenzen, aus denen er eine Lehre ziehen kann. Ihre Aufgabe besteht deshalb darin, ihm den Lernprozess zu erleichtern, zunächst einmal, indem Sie die richtigen Fragen stellen, mit denen Sie die Realität prüfen, und weiter, indem Sie konkrete Warnungen aussprechen.
Stellen Sie realitätsprüfende Fragen
Fragen sind häufig viel besser als Anweisungen. Die meisten Menschen haben bessere Lernerfolge und leisten weniger Widerstand, wenn sie etwas selbst herausfinden können. Statt dem anderen also die unerwünschten Konsequenzen zu schildern, falls er Ihre Bedürfnisse nicht respektiert, ist es effektiver, ihm ein paar »realitätsprüfende Fragen« zu stellen.
Diese Fragen sollen den anderen zum Nachdenken anregen über die eigentliche Realität einer bestimmten Situation sowie über die natürlichen Konsequenzen, die sich aus der Weigerung, Ihr Nein zu respektieren, ergeben. Hier ein paar Beispiele:
»Was passiert, wenn wir keine Einigung erzielen? Welche Konsequenzen hat es für uns beide, wenn wir uns in dieser Angelegenheit an den nächsthöheren Vorgesetzten wenden? Welche Kosten verursachen wir, wenn wir damit vor Gericht gehen (einen Streik anzetteln und so weiter)?«
»Haben Sie jemals darüber nachgedacht, wie es sich auf unsere Familien (unsere Beziehung, unsere Partnerschaften und so weiter) auswirkt, wenn wir uns in dieser spezifischen Situation nicht darauf einigen können, unsere Bedürfnisse gegenseitig zu respektieren?«
Betrachten wir noch einmal die tragische Geschichte des Space Shuttle Challenger und das Gespräch, in dessen Verlauf die Ingenieure auf die Frage, ob die Operation am nächsten Morgen wie geplant durchgeführt werden sollte, mit Nein antworteten. Als die NASA-Repräsentanten mit Überraschung und Unmut darauf reagierten, berief der Vorgesetzte der Ingenieure eine Ausschusssitzung ein und verkündete seinem Team: »Wir müssen eine Managemententscheidung treffen.« Die Senior Manager ignorierten den Ratschlag der Ingenieure, beschlossen, aus dem Nein ein Ja zu machen und den Start der Challenger zu befürworten. Was hätten die Ingenieure in diesem Augenblick unternehmen können?
Rückblickend hätte eine Möglichkeit darin bestanden, ihren Vorgesetzten eine pointierte, realitätsprüfende Frage zu stellen, die etwa folgendermaßen hätte lauten können: »Verstehen wir Sie richtig, dass Sie bereit sind, die persönliche Verantwortung für die Startempfehlung zu übernehmen, dass Sie sich damit bewusst über das Expertenurteil Ihrer Ingenieure hinwegsetzen, obwohl unserer Ansicht nach eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass die O-Ringe porös werden, was wiederum nicht nur die Mission selbst zum Scheitern, sondern auch sieben Astronauten zum Tode verurteilt?« Eine solche Frage hätte dazu führen können, dass man die »Managemententscheidung« in einem anderen Licht betrachtet hätte.
Realitätsprüfende Fragen können also ein mächtiges Werkzeug sein.
Warnen Sie, aber drohen Sie nicht
Wenn realitätsprüfende Fragen den anderen nicht überzeugen können, sollten Sie eine offene Warnung aussprechen. Vielleicht müssen Sie Ihrem Gegenüber Ihren Plan B schildern und auf die Konsequenzen hinweisen, die entstehen, wenn der andere Ihre Bedürfnisse nicht respektiert.
Einst wurde ich Zeuge, wie eine Tante ihre sechsjährige Nichte vor den Folgen ihres Verhaltens warnte. Das kleine Mädchen hüpfte auf dem Bett herum. Ihre Tante sagte mit ruhiger Stimme: »Tanja, bitte hör mit dem Herumgehüpfe auf dem Bett auf.« Aber Tanja machte weiter und kümmerte sich gar nicht um die Bitte. Daraufhin wiederholte ihre Tante ihre Worte, diesmal ein wenig betonter, sehr bewusst und ruhig: »Tanja, ich bitte dich, nicht mehr auf dem Bett herumzuhüpfen.« Als das kleine Mädchen immer noch nicht reagierte, packte die Tante sie sanft am Arm, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, sah ihr geradewegs in die Augen und hob warnend den Finger. Tanja verstand und hörte sofort auf. Ohne zu schreien oder auch nur die Stimme zu erheben hatte die Tante Erfolg. Sie blieb ruhig, fest, respektvoll – und effektiv.
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