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Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)

Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)

Titel: Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Ury
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sich, erwartet sofortige Kooperation und schaut nicht einmal eine Sekunde lang auf, um mit ihm zu sprechen. Im Folgenden schildert der Erzähler das Nein des Schreibers und seine eigene Reaktion:

    »Man stelle sich meine Überraschung, nein meine Bestürzung vor, als Bartleby, ohne sich aus seiner Abgeschiedenheit zu rühren, mit eigentümlich sanfter, entschiedener Stimme erwiderte: ›Ich möchte lieber nicht.‹«
     
    Beachten Sie die »sanfte, entschiedene Stimme« – den neutralen, sachlichen Ton. Es ist ein respektvolles Nein – er sagt nicht »Mach ich nicht«, sondern »Ich möchte lieber nicht«. Hinter diesem Nein steht ein klares Ja, eine Verpflichtung seiner eigenen menschlichen Würde gegenüber. Der Notar ist natürlich überrumpelt. Er fährt fort:

    »Ich saß eine Weile vollkommen stumm da und sammelte meine betäubten Gedanken. Gleich darauf kam mir in den Sinn, meine Ohren hätten mich getäuscht oder Bartleby habe meine Worte völlig missverstanden. Ich wiederholte meine Aufforderung so deutlich, wie ich nur konnte. Aber genauso deutlich kam die gleiche Antwort wie vorher: ›Ich möchte lieber nicht.‹«
     
    Das erste Stadium der Reaktion ist Verleugnung. Der Vorgesetzte kann einfach nicht glauben, dass sein Angestellter die Verwegenheit besitzt, Nein zu sagen. Also wiederholt er seine Forderung und erwartet sofortigen Gehorsam. Aber Bartleby bleibt sich selbst treu und bekräftigt sein Nein. Dies führt bei seinem Chef zum nächsten Reaktionsstadium – Angst und Zorn.

    »›Möchte lieber nicht‹, wiederholte ich, stand in großer Erregung auf und durchquerte das Zimmer mit ein paar langen Schritten. ›Was soll das heißen? Sind Sie verrückt geworden? Sie sollen mir helfen, dieses Blatt hier zu vergleichen – nehmen Sie es!‹, und ich stieß es ihm entgegen.«
     
    Aber Bartleby reagiert nicht. Er bleibt standhaft und wiederholt sein Nein erneut.

    »›Ich möchte lieber nicht‹, sagte er.«
     
    Der Notar ist vollkommen entgeistert. Er hat jetzt zwei Möglichkeiten: Er kann sich weiter in seine Wut hineinsteigern und Bartleby auf der Stelle entlassen, oder er kann das Nein akzeptieren und die Vereinbarung gegenseitigen Respekts, die Bartleby durch sein Verhalten implizit vorschlägt, überdenken.

    »Ich blickte ihn scharf an. Sein Gesicht war hager-unbewegt, das graue Auge trüb-ruhig. Nicht eine Falte der Erregung kräuselte sein Gesicht. Hätte sein Verhalten auch nur einen Anflug von Unbehagen, Ärger, Ungeduld oder Unverschämtheit gezeigt, mit anderen Worten, wäre etwas im gewöhnlichen Sinne Menschliches an ihm gewesen, so würde ich ihn bestimmt voller Zorn aus der Kanzlei entlassen haben. Doch so, wie die Dinge lagen, hätte ich ebenso gut auf den Gedanken kommen können, meiner bleichen Cicero-Gipsbüste die Tür zu weisen. Ich stand da und starrte ihn eine Weile an, während er mit seiner eigenen Schreibarbeit fortfuhr, und setzte mich dann wieder an mein Pult. Das ist sehr seltsam, dachte ich. Was tut man da am besten? Doch die Arbeit drängte. Ich beschloss, die Sache fürs Erste auf sich beruhen zu lassen und sie für eine spätere Mußestunde zurückzustellen. Daher rief ich Nippers aus dem anderen Zimmer, und das Schriftstück wurde rasch durchgesehen.«
     
    Wenn Bartleby reagiert hätte, so wäre er auf der Stelle gefeuert worden. Aber Bartleby ist auf dem Balkon, ruhig und ohne Reaktionen zu zeigen, der absolute Herr seiner Gefühle, entschlossen, sein positives Nein aufrechtzuerhalten. Sogar der Vergleich mit der Büste Ciceros zeigt, dass sein Nein sachlich ist, eine objektive Realität. Angesichts seiner geduldigen, absichtsvollen Wiederholung muss der arrogante Chef, den diese Reaktion nicht nur verwirrt, sondern sogar etwas mit Ehrfurcht erfüllt, das Nein letztendlich akzeptieren. Die Geschichte betont die Macht, die uns verliehen wird, wenn wir einem tieferen Ja gegenüber treu bleiben – in diesem Fall einem Ja zur Menschenwürde.
    Im Verlauf des Romans entpuppt sich Bartlebys Charakter als komplex und leidgeprüft, aber seine Methode, Nein zu sagen, ist einfach und bewundernswert. Die Technik absichtsvoller Wiederholung könnte auch Bartleby-Technik heißen. »Ich möchte lieber nicht« ist ein Ankerspruch, der uns im Gedächtnis bleiben sollte.
    Erziehung – Die Wirklichkeit als Lehrmeister
    Wenn Ihre geduldige Wiederholung des Neins nicht die gewünschte Wirkung hat, sollten Sie den nächsten Schritt in Angriff nehmen und die anderen über die

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