Nein sagen und trotzdem erfolgreich verhandeln: Vom Autor des Harvard-Konzepts (German Edition)
Tränengas eingesetzt und die Polizei stürmte das Haus mit Waffengewalt. Nur allzu häufig kamen dabei Menschen ums Leben – die Geiseln, die Geiselnehmer und sogar die Polizisten selbst. Denken Sie nur an die Tragödie von Waco in Texas, die sich im Jahr 1993 ereignete und bei der mehr als 70 Menschen getötet wurden, darunter zwölf Kinder unter fünf Jahren.
Mittlerweile hat die Polizei effektivere Methoden entwickelt, um zu Geiselnehmern Nein zu sagen. Sie haben einen Plan B in der Hinterhand, meist ein Sondereinsatzkommando, das in der Nähe Stellung bezieht, falls die Situation doch mit Waffengewalt gelöst werden muss. Aber die Methode, die in der Mehrheit der Fälle greift, ist ruhiges, geduldiges, beharrliches Verhandeln. Dabei ist es besonders wichtig, fest und respektvoll Nein zu sagen – und das immer und immer wieder.
Im Folgenden finden Sie einen kleinen Dialogausschnitt aus Verhandlungen mit einem Geiselnehmer in New York City. Der Fernsehmoderator beschreibt die Situation folgendermaßen: »Nach Darstellung der Polizei hat sich ein mit einem Gewehr bewaffneter Mann in einem Haus verbarrikadiert, wo er einen zehnjährigen Jungen, möglicherweise seinen Neffen, gefangen hält.« George, der Geiselnehmer, verlangte ein Gespräch mit seiner von ihm getrennt lebenden Frau Annabelle, aber diese war »verrückt vor Angst« und die Polizei lehnte seine Forderung ab.
George: Ich kann nämlich damit nicht mehr leben, wissen Sie, ohne mit Annabelle zu reden.
Detective: Sie werden nicht mit Annabelle reden.
George: Dann werden wir hier noch sehr, sehr lange sitzen.
Detective: Ja, ewig, wenn es sein muss.
George: Ich gehe nicht ins Gefängnis.
Detective: In Brooklyn geht niemand wegen Waffenbesitzes ins Gefängnis. Das wissen Sie genauso gut wie ich. Über Gefängnis will ich mit Ihnen auch gar nicht reden. Ich habe Ihnen schon tausendmal gesagt, dass das wahrscheinlich gar nicht in Frage kommt. Selbst wenn Sie angeklagt werden, bekommen Sie eine Freiheitsstrafe auf Bewährung. Und ich will auch nicht mehr über Annabelle reden, denn auch da kennen Sie meine Antwort. Ich will nur eines: Dass es Ihnen gutgeht. Dass es José (der kleinen Geisel) gutgeht. Ich will, dass hier niemand verletzt wird.
George: Okay.
Achten Sie auf das beharrlich wiederholte, feste Nein des Detective, während er gleichzeitig auf seinem Ja zur Sicherheit der Geisel, des Geiselnehmers und aller anderen Beteiligten besteht. Die Verhandlungen dauerten elf Stunden, während der Geiselnehmer sämtliche klassischen Stadien durchlief: Verleugnung, Angst (vor einer Inhaftierung), Zorn (und wiederholte Drohungen, sich selbst und den Jungen zu töten), Verhandeln und Trauer. Dank des beharrlichen und respektvollen Neins seitens des Detective und seiner Kollegen konnte George die Ablehnung seiner Forderung schließlich akzeptieren. Er ging auf den positiven Vorschlag, der ihm unterbreitet wurde, ein und ließ den Jungen frei. Er ließ die Waffe fallen und ergab sich friedlich. Für die New Yorker Spezialisten war dies eine weitere Geiselnahme, die sie durch das Ausüben positiver Macht erfolgreich beenden konnten.
Formulieren Sie einen Ankerspruch
Manchmal ist einem unbehaglich zumute, wenn man das eigene Nein ständig wiederholen soll. Und oft reagiert das Gegenüber empfindlich. Immerhin gibt es ein ungeschriebenes Gesetz, das ständige Wiederholungen im Gespräch verbietet. »Das hast du doch schon mehrfach gesagt!«, ruft der andere erbittert aus. Denken Sie in einem solchen Fall daran, dass Sie hier keine normale Unterhaltung führen, in der das Ziel darin besteht, dem anderen neue Informationen zu vermitteln. Stattdessen wollen Sie den anderen an eine bleibende Wahrheit erinnern – an Ihre Interessen und Werte, die er respektieren soll.
Der Zweck der Übung besteht darin, Ihrem Gesprächspartner beizubringen, dass Ihr Nein unabänderlich ist und bleibt. Auch beim Erlernen anderer Fertigkeiten, sei es Lesen oder Tennis, müssen wir ständig wiederholen. Wer lernt, ein Nein zu respektieren, bei dem verhält es sich nicht anders, besonders da der Lernende in diesem Fall nicht allzu motiviert ist.
Manchmal reicht es aus, unser Nein nur ein einziges Mal zu wiederholen, damit der andere unsere Bedürfnisse respektiert – »Es tut mir leid, wenn ich Sie noch einmal belästigen muss, aber Rauchen ist in diesem Restaurant nicht gestattet« –, und der andere fügt sich. Manchmal aber gibt Ihr Gegenüber nicht so leicht nach. Denken
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