Nekropole (German Edition)
seiner Männer. »Mesut! Du bleibst bei ihm und passt auf, dass uns niemand folgt!«
Gestützt von Ali, dessen Gesichtsausdruck keinen Zweifel daran ließ, was er von Hasans Entscheidung hielt, begleitete Kasim sie noch durch das schmale Portal und schleppte sich dann zu einer der schmalen Gebetsbänke, die nahezu den gesamten Innenraum einnahmen. Er ließ sich so schwer darauf nieder, dass er gleich wieder heruntergefallen wäre, hätte der Assassine ihn nicht rasch festgehalten. Mit schuldbewusster Miene, so, als machte er sich ganz allein für das verantwortlich, was Kasim zugestoßen war, strebte Hasan ohne ein weiteres Wort weiter zum hinteren Teil des kleinen Kirchenschiffs.
Andrej versuchte, sich zu orientieren. Das Kirchenschiff war hoch und düster und, so wie die meisten abendländischen Gotteshäuser, von schlichter Architektur. Die Einrichtung war karg und hätte wohl auch bei hellem Tageslicht nicht wirklich mehr hergemacht. Die deckenhohen Glasfenster mochten vor einem Jahrhundert einmal prachtvoll gewesen sein, jetzt jedoch waren sie gesprungen und verdreckt und wirkten umso schäbiger, da man ihre ehemalige Schönheit noch immer erahnen konnte. Der Altar war überraschend klein und so bescheiden, dass er beinahe schon wieder angeberisch wirkte, das Kreuz, das dahinter an der Wand hing, dafür umso größer und Ehrfurcht gebietender.
Vielleicht war das der Grund, aus dem er so ungern eines dieser so genannten Gotteshäuser betrat: Diese in Stein gehauenen Monumente vermeintlich göttlicher Macht waren so gänzlich anders als die gewaltigen Moscheen des Orients, die oftmals sogar größer und ganz eindeutig prachtvoller als christliche Kirchen waren, aber da mit Licht, schwebender Eleganz und anmutigen Formen aufwarteten, wo diese auf Einschüchterung und Furcht setzten, und einen Ort der Lebensfreude und der Zuversicht boten, wo die steinerne Faust Gottes zu nichts anderem gut war, als dem Besucher seine Vergänglichkeit und Kleinheit vor Augen zu führen und sein Herz mit Angst zu füllen. Andrej würde weder vor dem einen noch vor dem anderen Gott auf die Knie fallen, in einer Moschee so wenig wie in einer Kathedrale, aber hätte man ihn gezwungen, dann wäre ihm die Wahl nicht schwergefallen. Dabei waren sich diese beiden Religionen im Grunde sehr viel ähnlicher, als ihre weltlichen Oberhäupter jemals zugeben würden.
Was ihre Anhänger seit Jahrhunderten nicht davon abgehalten hatte, sich mit wachsender Begeisterung gegenseitig umzubringen.
Aber das war nur das, was er
sah
.
Was er fühlte, war etwas ganz anderes. Diese Kirche machte einen verlassenen Eindruck, doch sie war es nicht. Etwas war hier, etwas Unsichtbares und sehr Altes, und es war etwas, das ihn schier zu Tode erschreckte und zugleich mit fast unwiderstehlicher Macht rief. Er sollte nicht hier sein. Niemand sollte das.
»Spürst du das auch?«, fragte er.
Abu Dun schüttelte zwar nur stumm den Kopf, aber das war gelogen – nicht einmal sonderlich überzeugend –, und die Sorge in seinen Augen nahm noch einmal zu. Sein Blick sagte dasselbe, was Andrej gerade gedacht hatte: Sie sollten nicht hier sein. Dieser Ort war möglicherweise
von
Menschenhand erschaffen, aber das hieß nicht, dass er auch
für
Menschen da war.
Andrej schüttelte den Gedanken ab, nannte sich selbst im Stillen nicht zum ersten Mal einen abergläubischen Dummkopf und beeilte sich, zu Hasan und den anderen aufzuschließen, die gerade durch eine schmale Seitentür hinter dem Altar verschwanden. Sie war so geschickt hinter einem Pfeiler angebracht, dass die Augen eines normalen Menschen kaum eine Chance gehabt hätten, sie zu entdecken, solange er nicht genau wusste, wonach er zu suchen hatte.
Die Sakristei, in die sie gelangten, war genauso schlicht und spärlich eingerichtet wie die Kirche selbst. Ali hatte vor einer zweiten, offen stehenden Tür angehalten, um auf sie zu warten.
»Ich hatte gehofft, dass ihr bei Kasim bleibt«, begann er geradeheraus. »Jemand muss auf den armen Burschen aufpassen. Es geht ihm nicht gut.«
»Und es könnte sein, dass du seine Handwerkskunst noch brauchst«, sagte Abu Dun, während er Alis Rechte mit einem langen, nachdenklichen Blick maß.
»Für einen solchen Unsinn haben wir jetzt keine Zeit«, wies ihn Andrej unwirsch zurecht. Er machte eine knappe Geste auf die Tür hinter Ali. »Was ist dort?«
»Nichts, was dich etwas angeht«, sagte Ali barsch, »aber auch nichts, was dich beunruhigen müsste.«
»Dann gibt
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