Nekropole (German Edition)
weißt, was sie mir antun werden! Ich will nicht, dass sie mir weiter wehtun!«
»Ali ist dein Bruder«, erinnerte Andrej.
»Er ist ein Mann, und sie sind alle gleich!«
Andrej starrte sie an, und Ayla nutzte seine vermeintliche Überraschung aus, um sich abermals loszureißen oder es wenigstens zu versuchen. Andrej hielt sie weiter fest, was ihm deutlich weniger Mühe bereitete, als ihrem Blick standzuhalten.
»Ali ist dein Bruder«, sagte er noch einmal. »Du willst doch nicht sagen, er hätte dich …?«
»Nein«, antwortete Ayla trotzig und nach einer Pause, in der sie möglicherweise überlegt hatte, seine Frage einfach zu bejahen, um ihn auf ihre Seite zu ziehen. »Aber er tut alles, was Hasan sagt, und ich will diesen schmutzigen alten Mann nicht mehr! Du weißt nicht, was er von mir verlangt!«
Andrej vermutete, es sehr wohl zu wissen, und der Gedanke sollte ihn eigentlich zornig machen … aber er tat es nicht. Er wusste, dass das Mädchen log. Doch aus irgendeinem Grunde wollte er ihr trotzdem glauben, auch dann, hätte sie behauptet, die Sonne schiene schwarz vom Himmel. Er wehrte sich dagegen, doch vergeblich.
Noch.
»Bitte, Andrej!«, flehte Ayla.
Irgendwo unter ihnen wiederholte sich das Splittern, aber auf eine andere Art. Diesmal konnte er hören, wie etwas zerbrach.
»Andrej!«
Sie hatte recht. Er musste sich entscheiden. Jetzt.
Unter ihnen brach die Tür endgültig, und schwere Schritte polterten die Treppe herauf.
»Bitte!«, rief Ayla.
Ihm blieb noch ein Atemzug, und er nutzte ihn.
Schließlich schüttelte er den Kopf. »Es tut mir leid.«
»Was ist hier los?« Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, eine brennende Fackel in der einen und das blanke Florett in der anderen Hand, stürmte Ali die Treppe herauf. Hinter ihm folgte ein halbes Dutzend Assassinen, die zwar bunt wie Papageien gekleidet waren, dennoch aber mit Degen und den heimtückischen Dornenhandschuhen bewaffnet. Und zu allem entschlossen, das spürte er. Nicht zum ersten Mal wurde ihm klar, dass diese Männer keine Angst vor ihm hatten, obwohl sie ganz genau wussten, wie chancenlos sie waren.
»Nichts«, sagte Andrej. Er hielt Ayla weiter fest genug gepackt, um sie gar nicht erst auf den Gedanken kommen zu lassen, abermals zu fliehen, und streckte abwehrend die andere Hand in Alis Richtung aus. Wenn er Glück hatte, rannte er ja in seinem Ungestüm dagegen und fiel rücklings die Treppe herunter und brach sich das Genick.
Doch leider blieb ihm dieses Glück verwehrt. Ali blieb stehen und fuchtelte mit seinem albernen Degen. Hinter ihm teilte sich die Menge der Assassinen, und Hasan quälte sich schnaufend die Treppe herauf.
»Andrej! Du hast sie aufgehalten. Das ist gut.«
»Ach ja?«, fragte Andrej. »Für wen?«
»Für Ayla.« Hasan scheuchte Ali mit einem unwilligen Handwedeln beiseite, bedachte Andrej mit einem Kopfnicken und wandte sich dann an Ayla. »Das war sehr dumm von dir, mein Kind. Ich kann dich ja verstehen, glaub mir. Aber du weißt, was auf dem Spiel steht.«
»Ich nicht. Aber du wirst es mir gleich erklären«, sagte Andrej kühl und leicht drohend, was ganz kurz eine wilde Hoffnung in Aylas Augen auflodern und fast genauso schnell wieder erlöschen ließ.
»Ich glaube nicht, dass dir ein solcher Ton …«, begann Ali, und Hasan bedeutete ihm zu schweigen, ohne ihn anzublicken.
»Darauf hast du wohl ein Recht«, sagte er an Andrej gewandt, machte jedoch keine Anstalten, dieser Ankündigung eine Erklärung folgen zu lassen, sondern ging rücklings eine Stufe nach unten und stützte sich noch schwerer auf seinen Stock. Er sah sehr alt aus, vielleicht zum ersten Mal so alt, wie er tatsächlich sein mochte. »Alles läuft aus dem Ruder«, murmelte er. »Das hätte nicht passieren sollen.«
»Was?«, fragte Andrej.
Hasan schloss mit einem Seufzen die Augen und schwieg endlose Sekunden, dann wandte er sich mit einer unmissverständlichen Geste an Ali. Der Assassinen-Hauptmann steckte seinen Degen ein und wollte mit der freien Hand nach Ayla greifen, doch Andrej schüttelte nur warnend den Kopf.
»Erst wirst du mir sagen, was hier vorgeht«, sagte er. »Und was Ayla damit zu tun hat.«
Du hast es mir versprochen.
Alis Lippen wurden zu einem blutleeren schmalen Strich, und seine Hand sank erneut auf das Schwert, doch auch jetzt hielt Hasan ihn wieder zurück.
»Es ist gut, Ali. Bring deine Schwester nach oben. Aber tu ihr nicht weh.«
Dass er das überhaupt sagte, gab Andrej zu denken, und das
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