Nekropole (German Edition)
mehr, als sein sollte.«
»Ich glaube, ich weiß schon eine ganze Menge«, antwortete Altieri. »Die Toten kehren zurück, um die Lebenden zu holen, ganz wie es prophezeit wurde. Ich weiß nur nicht, was es bedeutet. Ist das Ende aller Tage gekommen? Steht uns das letzte Gericht bevor?«
»Die Apokalypse? Vielleicht, wenn wir es nicht verhindern können.«
»Die Apokalypse?«, wiederholte Abu Dun. »Verzeiht einem unwissenden Mohren, aber ihr meint diese Geschichte mit dem Ende aller Tage, Blut und Feuer vom Himmel und einer Ziege mit sechshundertsechsundsechzig Köpfen oder so? Also ehrlich, habt ihr es nicht eine Nummer kleiner?«
»Ich brauche Eure Hilfe, um viele Menschenleben zu retten, Emilio«, fuhr Clemens unbeeindruckt fort. »Vielleicht diese ganze Stadt.«
Altieri starrte ihn durchdringend an. Lange. Dann nickte er. »Ich verstehe. Und ich pflichte deinem schwarzen Freund bei: Habt Ihr es nicht eine Nummer kleiner?«
»Emilio, Ihr habt es gesehen!« Clemens’ Stimme wurde beschwörend. »Die Toten steigen nicht nur aus ihren Gräbern, sie verderben die Lebenden, und es wird noch schlimmer, mit jeder Stunde, die vergeht! Ich kann diesen Albtraum beenden, aber ich brauche Eure Hilfe!«
»Ich habe es gesehen«, erinnerte Altieri. »Und ich habe gesehen, was sie den Lebenden antun! Aber ich kann Euch versichern, dass wir dieser Gefahr Herr werden.«
»Ihr?« Abu Dun deutete nacheinander auf Ruetli und ihn. »Alle beide gemeinsam? Dann hat das Böse ja gar keine Chance mehr.«
»Ich habe ein Dutzend Männer im Kolosseum zurückgelassen, um nach weiteren dieser Dämonen zu suchen.« Altieri sah Ali an. »Ihr wisst, wie gut die Männer sind, Camerlengo.«
»Ich habe sie selbst ausgebildet«, bestätigte Ali.
»Alle Schwerter dieser Welt können diesen Schrecken nicht aufhalten, Emilio«, antwortete Clemens. »Es sind keine Dämonen. Sie sind etwas viel Schlimmeres.«
»Und was erwartet Ihr jetzt?«, fragte Altieri. »Dass ich Euch einfach so gehen lasse, als wäre nichts geschehen?« Er machte eine zornige Handbewegung, mit der er Clemens das Wort abschnitt, bevor er es überhaupt ergreifen konnte. »Es tut mir leid, Guido. Ich habe schon mehr getan, als ich überhaupt dürfte, um unserer alten Freundschaft willen und um den Heiligen Stuhl vor Schaden zu bewahren. Niemand weiß, was heute Mittag geschehen ist. Niemand weiß, dass Ihr hier seid, geschweige denn noch am Leben. Aber mehr kann ich nicht für Euch tun. Ihr wisst das.«
Vermutlich war es schon mehr, als irgendein anderer getan hätte, dachte Andrej. Die beiden Männer mussten einmal sehr gute Freunde gewesen sein. Wenn an die Öffentlichkeit kam, das Altieri den in Ungnade gefallenen alten Papst unterstützt hatte, dann standen seine Chancen nicht schlecht, sich neben Clemens auf dem Scheiterhaufen wiederzufinden.
»Dann bleibt mir nur noch eine Wahl«, sagte Clemens. Andrej spannte sich unmerklich an, und die Ketten unter Abu Duns Gewand klimperten ganz leise, als er die eiserne Hand zur Faust ballte. »Lasst Ayla zu mir bringen.«
Kasims Kopf flog in den Nacken, und Ali machte ein entsetztes Gesicht.
»Das Mädchen?«, vergewisserte sich Altieri.
»Das ist ihr Name, ja. Bitte lasst sie herbringen. Ich werde Euch alles erzählen. Aber es wird Euch nicht gefallen.«
»Ich glaube, ich möchte auch nicht, dass es mir gefällt«, antwortete Altieri, nickte aber Ruetli auffordernd zu. Der Gardist eilte hinaus, sichtlich froh, aus dieser unangenehmen Situation entlassen zu sein, doch die beiden anderen Soldaten nahmen die Bolzen nicht von ihren Armbrüsten.
»Seid Ihr sicher, dass Ihr das –«, begann Ali, doch Clemens unterbrach ihn mit einem müden Kopfschütteln. »Nein, das bin ich ganz und gar nicht, mein Freund. Ich will gewiss nicht noch mehr unschuldiges Blut an meinen Händen haben. Uns bleibt keine andere Wahl mehr.« Er atmete hörbar ein und sah zu Kasim hin. »Und keine Zeit.«
»Ich kann meinen Arzt rufen, damit er sich Eures Freundes annimmt«, sagte Altieri. »Er ist der Beste, den es gibt … aber das wisst Ihr ja.«
Und wenn es der beste Medicus der Welt wäre, Andrej bezweifelte, dass er dem Schmied helfen konnte. Kasim spürte vielleicht, dass über ihn gesprochen wurde, denn er hob den Kopf, aber sein Blick blieb leer, wie der eines Menschen, der unversehens aus dem tiefsten Schlaf gerissen worden war und dessen Gedanken seinen Leib noch nicht ganz eingeholt hatten.
Und vielleicht würden sie das ja auch nie
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