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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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anderen Männer die Tür öffnete und dann wieder beiseitetrat.
    »In der Tat, er gefällt mir, dieser kleine Mann«, spöttelte Abu Dun. »Nur dieser Name! Ruetli! Das klingt wie Hütli, meinst du nicht auch? Dabei haben sie doch so drollige Blechmützen!« Er trat gebückt durch die Tür, und Andrej folgte ihm in einen weitläufigen, düsteren Raum. Die schweren Samtvorhänge vor den Fenstern waren geschlossen, und nur eine einzelne Kerze brannte, in deren flackerndem Licht er zwei, nein, drei Personen entdeckte, doch es war zu dunkel, um sie zu erkennen.
    »Ruetli!«, wiederholte Abu Dun kichernd, während er die Tür hinter Andrej schloss. Es wurde noch dunkler. »Das ist doch kein Name für einen Soldaten! Krieger heißen Hunter oder Blade oder Cutter, aber doch nicht
Ruetli

    Andrej, dem Abu Duns Witzelei allmählich auf die Nerven zu gehen begann, setzte zu einer scharfen Entgegnung an, doch er wurde von einer amüsiert klingenden Stimme daran gehindert, die ihm zuvorkam: »So heißen sie nun einmal, die Schweizer. Hat man euch gut behandelt?«
    Andrej blinzelte, und der graue Schemen bekam ein Gesicht, das ihm im ersten Moment sonderbar fremd vorkam, bevor er begriff, warum das so war: Zum ersten Mal sah er Clemens ohne den schwarzen Turban, der zu seiner Verkleidung als König der Mörder gehörte. Nicht nur die hässliche Narbe auf seiner Stirn war jetzt so deutlich zu erkennen, als leuchtete sie mit einer geheimnisvollen inneren Kraft, sein ganzes Gesicht wirkte … verändert. Andrej konnte nicht sagen, worin dieses andere bestand, aber es gefiel ihm nicht. Es machte ihn auf unbestimmte Weise traurig.
    »Und euch?«, fragte er, statt Clemens’ Frage zu beantworten.
    »Gut genug«, erwiderte Clemens. »Besser sogar, als es einem Mann zusteht, der das getan hat, was ich getan habe.«
    Abu Dun schnaubte verächtlich. »Selbstmitleid steht dir nicht, alter Mann.«
    Einer der anderen Schatten – Ali – richtete sich drohend auf, doch Clemens hob die Hand, ob besänftigend oder befehlend, konnte Andrej nicht sagen. Er lachte leise. »Deine Art ist manchmal herzerfrischend«, sagte er. »Sie macht mir immer wieder klar, dass ich auch nur ein Mensch bin, mit allen Fehlern und Schwächen, die uns Menschen auszeichnen.«
    »Sagte ich schon«, seufzte Abu Dun, »dass dir Selbstmitleid – ?«
    »Ja«, unterbrach ihn Ali scharf. »Und ein fader Scherz wird nicht besser, wenn man ihn wiederholt.«
    »Wieso Scherz?«, fragte Abu Dun unschuldig.
    »Er weiß gar nicht, was dieses Wort bedeutet«, fügte Andrej hinzu und sah Abu Dun mahnend an. Auch hier hatten die Wände Augen und Ohren, das musste der Nubier genauso spüren wie er. Wieso also hörte er nicht endlich auf, Altieris Spitzel unnötig zu provozieren?
    Weil Abu Dun nun einmal so war, wie er war, das wusste Andrej seit Jahrhunderten, und dass er sich diese Frage überhaupt stellte, erschreckte ihn. Er begann, Dinge zu vergessen. Immer Wichtigere und immer schneller.
    Schon, um sich auf andere Gedanken zu bringen, wandte er sich Kasim zu, der weit nach vorne gebeugt auf einer verspielten Chaiselongue saß und genauso elend und krank aussah, wie er ihn in Erinnerung hatte. Als er ihn vor Stunden im Kolosseum das letzte Mal gesehen hatte, da schien es ihm etwas besser zu gehen, aber das musste ein Irrtum gewesen sein. Er wirkte krank. Sterbend.
    »Ich spare mir die Frage, wie es dir geht«, sagte er. »Aber wäre es nun nicht Zeit, mir endlich zu verraten, was mit dir los ist?«
    »Nichts«, log Kasim mit schwerer Zunge. Es fiel Andrej schwer, in seinem Gesicht zu lesen, denn es war fast so grau wie die Schatten, die sie umgaben. »Ich brauche nur ein wenig Ruhe, das ist alles. Ich bin ein alter Mann.«
    »Nicht annähernd so alt wie ich«, versuchte Andrej zu scherzen.
    »Ja, aber nicht jeder ist in der komfortablen Lage, aus der Kraft von hundert Leben schöpfen zu können, Unsterblicher«, fauchte Ali. »Er ist einfach nur ein Mensch. Wie die meisten von uns, dem Herrn sei Dank.«
    Statt weiter in den bemitleidenswerten Kasim zu dringen, ließ Andrej den Blick über die gediegene, aber eher bescheidene Einrichtung tasten. Schließlich blieb er an einem schweren Vorhang auf der anderen Seite hängen. Durch einen schmalen Spalt in der Mitte fiel blasses Licht herein. Dahinter musste ein großes Fenster oder eine Tür liegen, und nun hörte Andrej auch wieder jenes Raunen und Murmeln wie eben schon, als wäre irgendwo dort draußen eine große Menschenmenge

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