Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
mehr, dachte Andrej. Nun, wo wenigstens einige wenige Kerzen brannten und für trübes Licht sorgten, sah er, dass Kasims Gesicht tatsächlich
grau
geworden war, worüber selbst sein arabisch dunkler Teint nicht mehr hinwegtäuschen konnte. An seiner Schläfe pochte eine Ader, und ein Netzwerk dünner, dunkler Linien war auf seinen Wangen und dem Hals erschienen, noch – aber nicht mehr lange – nur für seine scharfen Augen sichtbar, so, als flösse nicht mehr Blut in seinen Adern, sondern etwas anderes.
    »Was ist mit ihm, Guido?«, wollte Altieri wissen. Er klang alarmiert. Möglicherweise hatten ihn erst Andrejs Blicke darauf aufmerksam gemacht, in welch schlimmer Verfassung Kasim war. »Wurde er …?«
    »Gebissen?« Clemens schüttelte ein wenig zu heftig den Kopf. »Nein. Dann wäre auch er inzwischen längst zu einem von ihnen geworden.«
    Altieri wirkte nicht überzeugt. Clemens tauschte einen nervösen Blick mit Ali, woraufhin der Camerlengo an ein flaches Bord neben der Tür trat, auf dem ein Krug und ein Becher aus Ton standen. Andrej fiel Alis fast unmerkliches Zögern auf, als er danach griff, und auch der Schatten, der dabei über sein Gesicht huschte. Dann griff er jedoch entschlossen unter seinen Mantel und zog einen wohlbekannten, zerbeulten Metallbecher hervor, aus dem er einige wenige Schlucke einschenkte. Abu Dun runzelte tief die Stirn, und auch Altieri schien irritiert zu sein.
    »Trink«, sagte Clemens. »Das wird dir helfen.«
    Kasim versuchte schwach, den Kopf wegzudrehen, woran ihn Ali allerdings mühelos mit nur einem Finger hinderte.
    »Trink aus«, sagte er in fast noch sanfterem Ton als Clemens zuvor, half seiner Aufforderung aber mit der freien Hand nach und achtete genau darauf, dass Kasim den Becher bis auf den letzten Tropfen leerte. Abu Duns Stirnrunzeln wurde noch einmal tiefer, doch er sagte nichts, sondern ging zu demselben Bord und nahm den Krug, aus dem Ali eingeschenkt hatte, um lautstark daran zu schnüffeln.
    »Wasser«, verkündete er in übertrieben ungläubigem Ton. »Was ist daran so besonders? Ich meine: Das hier ist doch der Vatikan, oder? Was ist daran nun so außergewöhnlich? Hat irgendein Heiliger hineingepinkelt?«
    »Es ist sehr alt«, antwortete Ali, ohne, dass sein Blick den Kasims losgelassen hätte – oder seine Hand sein Gesicht. »Es stammt noch aus der guten alten Zeit. Sie haben damals Ketzer und Gotteslästerer darin ertränkt. Aber ich vermute, es funktioniert noch heute. Früher hat man noch Qualität produziert.«
    Abu Dun zeigte mit anklagend ausgestrecktem Eisenfinger auf den Becher, den Ali in diesem Moment wieder unter seinem Mantel verschwinden ließ. »Ich wusste, dass es gelogen ist! Zaubertrank? Dass ich nicht lache!«
    Weder Ali noch Clemens verzogen eine Miene, anders als Altieri, auf dessen Gesicht plötzlich tausend Fragen geschrieben standen, von denen ihm keine Einzige zu gefallen schien.
    Ayla kam. Andrej spürte ihr Näherkommen wie ein rettendes Licht, das in einer eisigen Winternacht entzündet wurde und rasch an Helligkeit und Wärme gewann. Ruetli hatte nicht lange gebraucht, um sie zu holen, offenbar hatte man sie ganz in der Nähe untergebracht. Zugleich fühlte er, wie sich etwas Großes und Düsteres regte, ganz leicht, kaum wahrnehmbar. Doch es war da.
    Auch Abu Dun schien etwas gespürt zu haben, oder vielleicht auch gehört, denn er legte lauschend den Kopf auf die Seite und trat dann mit zwei schnellen Schritten ans Fenster. Einer der Soldaten wollte ihm den Weg vertreten, blieb jedoch wie angewurzelt stehen, als ihn ein eisiger Blick des nubischen Hünen traf. Andrej hielt erschrocken die Luft an, als Abu Dun die künstliche Hand ausstreckte, um mit zwei eisernen Fingern die beiden Vorhanghälften zuzuhalten. Mit den gesunden Fingern der anderen Hand schuf er einen schmalen Spalt, gerade ausreichend, um mit einem Auge hindurchzuspähen. Andrej wünschte trotzdem, er hätte es nicht getan. Irgendetwas war dort draußen, das besser nicht hereingelassen wurde.
    »Bitte geh vom Fenster weg«, sagte Altieri. Vielleicht erging es ihm ja ganz ähnlich wie Andrej. Oder er war einfach nur vorsichtig.
    Abu Dun ignorierte seine Aufforderung jedenfalls, und bevor er sie wiederholen konnte, ging die Tür auf, und Ruetli kam zurück. Er hielt Ayla wie ein kleines Kind an der Hand, nur mit mehr Kraft, als er es bei einem solchen getan hätte. Der Anblick erfüllte Andrej mit solchem Zorn, dass er sich am liebsten auf Ruetli gestürzt

Weitere Kostenlose Bücher