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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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instinktiv die Finger zur Faust ballte und die Spitze nur noch eine Papierbreite von seiner Kehle entfernt war.
    Diesmal war der Schmerz so schlimm, dass er aufschrie. Sein Blick färbte sich rot, aber er ließ trotzdem nicht los, sondern griff nur noch fester zu, sodass der Mann nun ebenfalls vor Schmerz grunzte und Andrej hören konnte, wie seine Fingerknochen knirschten. Dennoch versetzte er Andrej einen harten Tritt gegen den Oberschenkel und versuchte, mit den Fingern seiner blutenden Hand nach seinen Augen zu stechen.
    Andrej revanchierte sich mit einem Kopfstoß, der dem Mann den Schädel zertrümmert hätte, hätte er nicht zugleich die andere Hand mit einem Ruck umgedreht und damit auch das Messer, das noch immer in seinem Fleisch steckte.
    Mit einem Schrei prallte Andrej zurück und ließ die Hand des Mannes los, der mit rudernden Armen und zerschmettertem Nasenbein rücklings stolperte und auf den Rücken fiel, um diesmal liegenzubleiben.
    Ganz instinktiv wollte er ihm nachsetzen, doch der Schmerz in seiner Hand wurde noch einmal schlimmer, sodass er den verwundeten Arm stöhnend an den Leib presste und mit der anderen Hand nach dem Dolch griff, um den peinigenden Stahl aus seinem Fleisch zu reißen. Es tat so weh, dass ihm für einen Moment schwarz vor Augen wurde, und aus seiner Hand sprudelte das Blut wie aus einem zerrissenen Wasserschlauch.
    Hinter ihm erscholl ein Schrei und brach ebenso plötzlich wieder ab. Seine Knie gaben unter ihm nach, und er musste sich gegen den Wagen lehnen, um nicht zu stürzen. Der pochende Schmerz in seiner Hand verebbte und wurde durch eine lähmende Taubheit ersetzt, die langsam hoch zu seiner Schulter kroch und seinen gesamten Körper und seine Gedanken zu überwältigen drohte. Nur mit einer gewaltigen Willensanstrengung gelang es ihm, sich auf den Beinen zu halten, und es kostete ihn beinahe noch mehr Kraft, wach zu bleiben.
    Aber da war etwas, das größer war als die Schwäche, etwas, das tief in ihm erwachte und düster und unvorstellbar stark war. Etwas, das ihm Angst machte – und sie ihm zugleich auch nahm, denn es wies ihm den Weg in eine Welt, in der Furcht keine Bedeutung mehr hatte, weil es nichts mehr gab, was er fürchten musste.
    Hinter ihm rief Ayla noch einmal seinen Namen, und jetzt glaubte er, Panik in ihrer Stimme zu vernehmen, doch es spielte keine Rolle. Nichts spielte mehr eine Rolle. Seine Hand schmerzte. Der süße Geruch von Blut stieg ihm in die Nase, unerträglich und unwiderstehlich zugleich, und der Lärm der Schlacht war nun überall. Stahl klirrte, Schreie gellten, Schatten rangen miteinander, in einem bizarren Tanz, aber was bedeutete das schon? Alles, was zählte, war, dass ihm jemand wehgetan hatte und dafür bezahlen würde. Jetzt.
    Der Mann, den er niedergeschlagen hatte, wälzte sich stöhnend auf die Seite und versuchte, sich irgendwie hochzustemmen. Er wirkte benommen. Sein Gesicht war blutüberströmt, und seine Augen standen zwar auf, blickten aber ins Leere. Schwächlich wehrte er sich, als Andrej ihn grob auf die Beine zerrte, und wurde mit einem Schlag mit dem Handrücken bestraft, der ihn unverzüglich wieder zu Boden geschleudert hätte, hätte Andrej ihn nicht mit der anderen Hand unerbittlich festgehalten. Andrej spürte, wie etwas in seinem Gesicht zerbrach, und ein gepresstes Stöhnen kam über seine Lippen, zusammen mit einem neuen und helleren Blutschwall. Der Mann sackte in seinem Griff zusammen, und sein Blick trübte sich. Dennoch tasteten seine Finger fahrig über den Gürtel, um nach einer Waffe zu suchen.
    Normalerweise hätte Andrej der Tapferkeit dieses Mannes jetzt vielleicht Respekt gezollt, in jedem Fall hätte er es entweder gut sein lassen oder die Sache mit einem letzten barmherzigen Schlag zu Ende gebracht.
    Heute nicht. Jemand hatte ihn angegriffen. Jemand hatte ihm wehgetan und diejenigen bedroht, die ihm etwas bedeuteten, jetzt würde er ihm wehtun, hundertmal mehr, als es ihm widerfahren war. Statt den Mann einfach niederzuschlagen oder ihm das Genick zu brechen, packte er ihn mit beiden Händen, riss ihn hoch über den Kopf und warf ihn quer über die schmale Straße und mit solcher Gewalt gegen den Lagerschuppen, dass mehrere der morschen Bretter barsten. Stumm und mit den haltlos pendelnden Gliedmaßen einer gekappten Marionette rutschte der Mann, eine schmierige dunkelrote Spur auf dem schmutzigen Holz hinterlassend, an der Wand zu Boden. Doch er war noch immer am Leben, und unglaublicherweise

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