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Nekropole (German Edition)

Nekropole (German Edition)

Titel: Nekropole (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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waren rot und glitschig von seinem eigenen Blut, als er sich wieder aufrichtete und den unheimlichen Angreifer in hohem Bogen davonschleuderte.
    Wie es die Choreografie dieses apokalyptischen Traumes wollte, wies ihm der davonfliegende Schädel den Weg zu einer weiteren Gestalt, die inmitten der Kämpfenden stand, vollkommen in Schwarz gekleidet, das Gesicht verhüllt, von dem nur die Augen sichtbar waren, von einem Netz kunstvoller violetter Tätowierung umgeben. Obwohl nur wenig mehr als halb so groß wie die meisten Kämpfenden konnte er sie so deutlich erkennen, als stünde sie kaum eine Armeslänge vor ihm, und auch ihre Stimme war so klar, als flüstere sie direkt in sein Ohr.
    Du hast es versprochen.
    Das hatte er. Ihre Stimme war frei von jedem Vorwurf, und doch schnitt sie wie ein Messer in seine Seele. Er hatte ihr sein Wort gegeben, sie zu beschützen, und er hatte dieses Wort gebrochen, denn sie war in Gefahr, einer schrecklichen Gefahr, und er konnte nichts tun, um sie zu retten.
    Die hin und her wogende Menge verschlang Aylas schmale Gestalt, spie sie wieder aus und verschlang sie erneut, immer und immer wieder, und jedes Mal schien sie eine Winzigkeit weiter von ihm entfernt zu sein, ganz egal, mit welch verzweifelter Kraft er sich auch durch das Getümmel zu kämpfen versuchte.
    Es war die klassische Albtraumszene, die jeder kennt, und in der er rannte und rannte und rannte, ohne von der Stelle zu kommen, nur dass er nicht durch klebrigen Morast oder saugendes Nichts watete, sondern ein Meer aus Leibern, Schädel zertrümmerte und Gliedmaßen brach, die ihm im Weg waren, und sich doch immer weiter von ihr entfernte, als schleudere jeder verzweifelte Hieb, mit dem er sich zu befreien versuchte, auch sie um eine Winzigkeit weiter davon, als er ihr näher kam. Aylas Stimme war jetzt nicht mehr in seinem Ohr, und auch über seine Lippen kam nicht der mindeste Laut, obwohl er ihren Namen immer lauter und mit immer verzweifelterer Kraft schrie.
    Ein grausamer Schmerz durchzuckte seinen Fuß.
    Andrej sah nach unten und stellte fest, dass der Schädel wieder da war und erneut an seinem Fleisch zerrte und in seinen Knochen biss, stampfte mit dem Fuß auf, um ihn zu zermalmen, und schlug und trat und kämpfte sich weiter, ohne der verlorenen schwarzen Gestalt auch nur einen Fingerbreit näher zu kommen. Der Strudel aus Leibern und Stahl hatte sie sogar noch weiter davongespült, und nun sah er auch, dass sie nicht mehr allein war. Ein zweiter, monströser Schatten wuchs hinter ihr auf, so schwarz wie sie selbst und ohne Gesicht und so gigantisch und kräftig, wie ihre Gestalt klein und zerbrechlich wirkte. Natürlich wusste er, wer es war, auch wenn er das Gesicht nicht erkennen konnte.
    Du hast es versprochen.
    Er schrie Aylas Namen, wieder und wieder, ohne, dass auch nur der leiseste Laut über seine Lippen kam, mit all seiner gewaltigen Körperkraft und verzweifelter Wut, und wurde doch immer weiter und weiter von ihr weggetragen, während der Schatten hinter ihr immer noch weiter wuchs und seine schrecklichen Hände nach ihr ausstreckte.
    Etwas Unvorstellbares würde geschehen, wenn er sie erreichte.
    Wieder biss etwas in seinen Fuß. Der Schädel war wieder da, und diesmal gelang es ihm nicht, ihn einfach abzuschütteln oder zu zermalmen. Hände und Finger krallten sich in sein Bein und schlossen sich um seinen Knöchel. Er wurde aus dem Gleichgewicht und zu Boden gezerrt, warf sich herum und bäumte sich auf, immer noch lautlos Aylas Namen rufend, trat um sich und spürte, dass er etwas traf, dann schlug eine Hand so hart in sein Gesicht, dass seine Unterlippe aufplatzte und Blut über sein Kinn lief. Die Düsterkeit über ihm gerann zu Schwärze, aus der ihn ein vertrautes Gesicht besorgt ansah.
    »Es ist ja gut, Andrej«, sagte eine Stimme. »Jetzt beruhige dich, bevor ich wirklich grob werden muss.«
    Andrej lauschte in sich hinein und versuchte, zu entscheiden, ob er noch immer träumte oder wieder wach war. Der Schmerz in seinem Fuß war jedenfalls noch immer da, und sogar noch schlimmer geworden. Instinktiv wollte er das Bein anziehen, doch es ging nicht. Da war eine größere Kraft als seine, die ihn festhielt.
    Er hatte Schmerzen. Sein Fuß pochte, als stünde er in Flammen, und er schlug die Augen mit demselben unangenehmen Brennen im Herzen auf, das ihn auch auf dem Weg ins vermeintliche Nichts begleitet hatte.
    Und noch etwas war anders. Er spürte, dass sehr viel Zeit vergangen war, sehr viel

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