Nekropole (German Edition)
ließ Andrej endgültig jede Rücksicht fahren und verschaffte sich mit einem gewaltigen beidhändigen Schwerthieb Luft, wobei er allerdings streng darauf achtete, mit der stumpfen Seite der Klinge zuzuschlagen. Es würde dennoch nicht ohne eine Menge übler Prellungen oder auch dem einen oder anderen Knochenbruch abgehen, aber niemand durfte an diesem Ort sterben, und das galt – aus einem sogar ganz uneigennützigen Grund – auch für Abu Dun und ihn.
Er hoffte nur, dass der Nubier es genauso sah.
Immerhin hatte der sein Schwert eingesteckt, doch seine Fäuste waren ebenso tödliche Waffen, selbst wenn eine davon nicht aus Eisen gewesen wäre. Zwei, drei, vier Gardisten sanken bewusstlos zu Boden, Hellebarden und Schwerter zersplitterten, und der Musketenschütze kam nicht dazu, seine Waffe nachzuladen, denn sie flog in zwei Teile zerbrochen durch die Luft, nur einen halben Augenblick nach ihrem Besitzer. Andrej wich einem weiteren Schwertstoß aus, überzeugte den Besitzer der Waffe davon, sich für die nächsten Stunden doch lieber um sein ausgekugeltes Schultergelenk zu kümmern und halbierte eine weitere Hellebarde mit einem gezielten Tritt, bevor er Abu Dun an der Schulter herumriss und so heftig durch das Tor und wieder in den Tunnel stieß, dass er gegen die Wand stolperte und beinahe gestürzt wäre. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, wie ihre Verfolger heranstürmten und dann wie ein Mann zurückprallten, als Alis Assassinen sich schützend hinter Abu Dun und ihm formierten und ihre Waffen hoben. Ein besonders mutiger Soldat versuchte, zu ihnen hereinzustürmen, und handelte sich einen tiefen Stich in den Oberschenkel ein, als einer der Assassinen sein Schwert vorschnellen ließ. Seine Kameraden zerrten ihn hastig in Sicherheit, und es gab auch keinen zweiten Mann mehr, der dumm genug gewesen wäre, gegen die lebende Wand aus Stahl und reißenden Klingen anzurennen.
Andrej überzeugte sich mit einem raschen Blick davon, dass Abu Dun unversehrt war, trat die Gittertür mit einer wütenden Bewegung wieder zu, nahm das Schwert in beide Hände und bemühte sich um einen möglichst drohenden Blick. Der Reaktion der Gardisten nach zu urteilen schien es ihm zu gelingen. Zumindest versuchte niemand mehr, das Tor zu öffnen.
»Der andere!«, sagte Abu Dun schwer atmend. »Wo ist der andere?«
Andrej konnte die Halle hinter den Soldaten nicht mehr erkennen, doch er wusste, wen Abu Dun meinte. Er lauschte mit all seinen Sinnen nach dem Tod. Wenn er dort draußen gewesen wäre, dann hätte er ihn gespürt.
»Ihr werdet mir jetzt sagen, was hier geschieht!«, herrschte ihn der Anführer der Gardisten an. »Was hat das zu bedeuten? Welchen Dämon habt ihr mit hierhergebracht, und was …?«
Der Mann zu seiner Linken schrie erschrocken auf und wich hastig zurück, und dann keuchte auch der Hauptmann vor ungläubigem Entsetzen auf und schlug die Hand vor den Mund, um einen Schrei zu unterdrücken.
Es war das erste Mal, dass Andrej bis ins kleinste Detail beobachten konnte, wie es geschah, und er hätte eine Menge gegeben, um auf diese Erfahrung zu verzichten.
Der Mann …
erlosch
, buchstäblich. In einem Moment war der Gardist noch ein lebender und atmender Mensch, im nächsten wich alles Lebendige aus ihm, als hätte sich eine unsichtbare Hand nach seiner Seele ausgestreckt und sie einfach herausgerissen, um sie durch etwas zu ersetzen, das nur Gewalt, nur Grausamkeit kannte. Seine Augen wurden trüb und verloren jeden Blick, und unter seiner Haut bildeten sich graue Schlieren, wie schmutzige Strudel in klarem Wasser, die sich mit rasender Lautlosigkeit ausbreiteten und alles Lebende in sein Gegenteil verkehrten. Ein Netz dunkel pulsierender Venen und feiner verästelter schwarzer Nervenfäden erschien unter seiner Haut, und etwas Dunkles und Unnatürliches tobte plötzlich hinter seinen Augen. Hinter den Zähnen begann die Zunge so schnell zu verfaulen, dass man dabei zusehen konnte, und aus dem Körper drang eine Folge widerwärtiger, nasser Geräusche, wie von platzenden Organen, die ihr verflüssigtes Fleisch in die Bauchhöhle ergossen.
Selbst Andrej schlug die Hand vor den Mund und musste tief einatmen, um die Übelkeit niederzuzwingen, die plötzlich in seinen Eingeweiden explodierte, und längst nicht alle Gardisten hatten sich so gut in der Gewalt.
Es war nicht nur der furchtbare Anblick. Andrej hatte Schlimmeres gesehen, das Menschen angetan worden war, und er hatte Menschen selbst Schlimmeres
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