Nekropole (German Edition)
und riss Kasim und einen der Assassinen von den Füßen. Bei Hasan wäre es ihnen zweifellos auch gelungen, hätte Ali sich nicht dazwischen geworfen und ihn mit seinem eigenen Körper beschützt. Zum Dank handelte er sich einen tiefen Biss in der Wade ein, fiel mit einem zischenden Laut auf ein Knie und hätte Hasan um ein Haar doch noch mit sich zu Boden gerissen, als er in seinem Zorn mit der freien Hand nach dem flüchtenden Tier schlug, es aber nicht traf.
Der ganze Spuk war beinahe genauso schnell vorüber, wie er angefangen hatte. Der Hund, der zuallererst gegen die Wand geprallt war, rappelte sich jaulend hoch und humpelte hinter der flüchtenden Meute her, dann war alles wieder still.
Mit einem schnellen Schritt war Andrej bei Kasim und streckte die Hand aus, um ihm aufzuhelfen. Als Kasim seinen Arm anstarrte, als wüsste er nichts damit anzufangen, griff er kurzerhand zu und zog ihn auf die Füße. »Bist du verletzt?«, fragte er.
Doch Kasim sah ihn aus leeren Augen an und schien die Worte nicht einmal gehört zu haben, woraufhin Andrej das tat, weshalb er Kasim wirklich geholfen und am Arm ergriffen hatte: Er lauschte in ihn hinein.
Und erkannte seinen Irrtum.
Es war nicht Ayla, deren Nähe er gespürt hatte, und auch nicht dieser Ort. Es war Kasim.
Da war eine Düsternis in seiner Seele, etwas gleichermaßen Fauliges wie Verzehrendes, nur ganz schwach, aber schon da, wie der erste, noch harmlos erscheinende Keim einer Krankheit, der noch im Verborgenen wächst, aber seine Fühler bereits gierig nach neuer Beute ausstreckt.
Und er kannte dieses Gefühl. Es war ihm schon einmal begegnet, in Jaffa und später noch einmal auf dem Meer.
Und tief, ganz tief war es auch in ihm.
Er überzeugte sich davon, dass Kasim aus eigener Kraft stehen konnte, bedeutete Abu Dun mit einem raschen Blick, sich bereitzuhalten und wandte sich zu Hasan herum. Ali war inzwischen aufgestanden und versuchte zumindest, sich nicht anmerken zu lassen, wie schmerzhaft der Biss in seiner Wade war.
»Was hast du mit ihm gemacht?«, fragte er, ohne sich mit einer Vorrede aufzuhalten.
»Ich?« Alis Augen verdunkelten sich vor Zorn. Andrej schüttelte ärgerlich den Kopf und stieß mit dem Zeigefinger wie mit einer Waffe in Hasans Richtung.
»Du! Du wirst mir jetzt sagen, was du mit Kasim gemacht hast, oder Abu Dun und ich verschwinden auf der Stelle!«
»Sobald ich dir dieselbe Frage gestellt habe, versteht sich«, fügte Abu Dun hinzu. Niemand beachtete ihn. Alis Hand lag zwar noch immer auf dem Schwertgriff, aber das tat sie im Grunde so oft, dass sie genauso gut auch daran festgewachsen sein konnte. Hasan sah ihn auf eine Art an, die ihm beinahe Angst machte, und Kasim sagte zum wiederholten Mal: »Es war ganz allein meine Entscheidung. Und ich hätte es so oder so getan. Hasan hat mir nur die Schande erspart, meine letzte Tat zu einem Akt der Rebellion zu machen.«
»Wie nobel«, höhnte Abu Dun.
»Du hattest kein Recht dazu«, beharrte Andrej. Er war ebenso zornig auf sich selbst wie auf Hasan und diesen Narren Kasim. War er blind gewesen?
»Was hast du getan? Ihn auch mit dieser angeblichen …
Krankheit
angesteckt, damit er sie findet? Auf die Gefahr hin, dass sich noch mehr in diese Ungeheuer verwandeln?«
»Du hast
was?«,
ächzte Abu Dun.
»Es ist alles ein wenig komplizierter, mein Freund«, sagte Hasan traurig. »Wenn es nur um Ayla ginge, dann wären wir jetzt nicht hier, und ich …«
»Hätte mich fragen können«, fiel ihm Andrej ins Wort.
Hasan starrte ihn an. »Wie … bitte?«
»Ich kann sie spüren«, sagte Andrej mit einer Kopfbewegung auf Kasim. »Ich kann seine Nähe spüren, und ich nehme an, das heißt, dass ich auch deine Tochter finden kann. Das konnte ich immer. Du vergisst, was ich bin.«
Hasans blasses Gesicht verlor noch einmal an Farbe, obwohl Andrej das für unmöglich gehalten hätte. Er konnte hören, wie schwer und hart sein Herz mit einem Mal schlug.
»Und warum hast du uns das nicht früher gesagt?«, fragte Ali.
Weil er es selbst nicht gewusst hatte und es wohl auch gar nicht hatte wissen wollen.
Das war die Wahrheit, doch es hätte nach einer billigen Ausrede geklungen, deshalb sagte er nichts.
»Also weißt du, wo sie ist?«, hakte Ali nach.
Andrej konnte nur den Kopf schütteln. »So einfach ist das nicht, fürchte ich. Aber ich kann Kasim helfen. Zu zweit finden wir sie schneller.«
»Und Eile tut wirklich Not«, fügte Ali in unheilschwangerem Ton hinzu.
»Warum?«,
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