Nekropole (German Edition)
fragte Abu Dun.
»Wenn du meine Gedanken liest.«
Abu Dun zog zur Antwort nur die Brauen zusammen, vielleicht auch, weil sie nicht mehr allein waren. Kasim war ihnen gefolgt und blickte mit steinernem Gesicht auf die Trümmerlandschaft hinab. Nur einen halben Schritt hinter ihm folgten Hasan und Ali. Besorgt bemerkte Andrej, dass Ali seinen Herrn nun tatsächlich stützen musste und Hasan aussah, als wäre er noch einmal um ein Jahrzehnt gealtert, seit er ihm das letzte Mal ins Gesicht geblickt hatte.
»Sie ist hier«, sagte Kasim. »Nicht weit.«
Andrej sah ihn zweifelnd an. Auch er spürte etwas, intensiver sogar als noch vor wenigen Augenblicken, aber er war nicht sicher, dass es das Mädchen war, dessen Nähe er fühlte. Sein Fuß schmerzte stärker, und er fühlte etwas Warmes und Klebrig-Nasses in seinem Stiefel.
Kasim wollte Andrej beiseiteschieben und sich unverzüglich auf den Weg machen, doch Andrej streckte rasch den Arm aus, um ihn zurückzuhalten. »Bist du sicher?«
»Und ich weiß auch, wohin sie will.« Ali deutete mit der freien Hand nach Norden, allerdings nicht direkt auf das verwüstete Gebiet, sondern die Häuserzeilen dahinter, eine halbe Meile entfernt, wenn nicht mehr. Über den für diese Stadt typischen roten Ziegeldächern erhob sich die gemauerte Kuppel eines offenbar sehr viel älteren Gebäudes, das sich nicht recht in die umgebende Architektur integrieren wollte. Es wirkte düster, fast bedrohlich durch seine gedrungene Form und zugleich schwerelos.
»Das Pantheon.« Hasan sprach das Wort aus, als wäre es ein Fluch. »Ich hätte mir denken sollen, dass sie diesen Ort aufsucht.«
Andrej sparte sich die Frage, warum sie dann nicht gleich dorthin gegangen waren, sondern griff nur noch einmal zu, um Kasim aufzuhalten, der abermals losgehen wollte, obwohl er sich kaum auf den Beinen halten konnte. »Nicht dort entlang.«
»Warum nicht?«, fragte Ali, wieder misstrauisch.
»Es gefällt mir nicht«, antwortete Andrej.
»Aber ist der kürzeste Weg«, beharrte Kasim. »Wir verlieren eine Stunde, wenn wir zurückgehen.«
»Und vielleicht unser Leben, wenn nicht«, sagte Abu Dun.
Hasan sah ihn alarmiert an und dachte einen Moment angestrengt nach. »Kasim hat recht«, sagte er schließlich. »So viel Zeit haben wir nicht. Wir müssen es riskieren.«
»Und ich kann gerne vorausgehen«, bot sich Ali an. »Nur für den Fall, dass dort im Dschungel irgendwelche Ungeheuer lauern.« Allerdings erhob er auch keine Einwände, als Abu Dun und Andrej einen vielsagenden Blick miteinander tauschten und dann die Führung übernahmen.
Das Gelände war nicht ganz so unwegsam, wie es auf den ersten Blick den Anschein gehabt hatte, und schon gar nicht der Urwald, von dem Ali gesprochen hatte. Aber zwischen all dem wuchernden Grün und den Resten einer vergangenen Zeit konnte sich dennoch alles Mögliche verbergen. Er blieb auf der Hut und sicherte nach rechts, und Abu Dun tat auf der anderen Seite dasselbe.
Dennoch nutzte es nichts, denn als die Falle zuschnappte, war es viel zu spät, um noch zu reagieren. Hinter ihm erscholl ein Scharren, gefolgt von einem zornigen Kreischen und einem erschrockenen Schrei, und Abu Dun und er fuhren in einer absolut synchronen Bewegung und gerade noch rechtzeitig herum, um zu sehen, wie einer der Assassinen zurückstolperte und wild mit einem Arm ruderte, um sein Gleichgewicht zu wahren. Mit der anderen Hand schlug er auf etwas Kleines und Struppiges ein, das sich in seiner Brust verkrallt hatte und nach seinem Gesicht schnappte.
Mit erhobenem Schwert wollte er hinzuspringen, doch Ali war schneller, indem er mit einem einzigen Schritt bei dem Assassinen war, die Katze von ihm herunterzerrte und ihr mit einem Tritt den Schädel zermalmte.
Der überraschte Schrei des Mannes war noch nicht ganz verklungen, da schien das Gestrüpp rings um sie herum regelrecht zu explodieren. Dutzende, nein – so kam es ihm vor – Hunderte räudiger und struppiger Katzen brachen wie aus dem Nichts aus dem Gebüsch heraus und stürzten sich blindwütig auf alles, was sich bewegte. Ein weiterer Schrei schrillte, vielleicht auch mehrere, und etwas traf Andrej mit solcher Wucht in die Kniekehlen, dass er um ein Haar das Gleichgewicht verloren hätte. Abu Dun verdankte es einzig seinen übermenschlich schnellen Reaktionen, dass er nicht auch noch die andere Hand verlor. Plötzlich schienen überall kleine, struppige Leiber zu sein, nadelspitze Zähne und rasiermesserscharfe Krallen,
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