Nele Paul - Roman
sicher wissen, ist, dass die Pausen dazwischen kürzer werden.Worauf das hinausläuft, kann man sich ja denken. Stell dir einen Vulkan vor, der vor sich hin brodelt, von Zeit zu Zeit ein kleiner Ausbruch, aber die Frage ist: Wann kommt der große Knall? Und was dann? Greift sie wieder jemanden an? Verletzt sie ihn diesmal? Wird sie selber verletzt? Ich weiß, dass es in deinen Ohren furchtbar klingt, aber …«, er schaute mich über den Rand der Brille an, »manchmal hilft es, eine Zeit lang aus der Verantwortung gelassen zu werden. Vielleicht ist es genau das, was sie im Schrank gesucht hat.«
Als ich zur Villa zurückkam, hatte Mor bereits das Essen fertig. Wir aßen im Garten ein spätes Abendessen, während die Sonne über den Feldern versank. Die beiden Frauen plauderten über die Restaurierung der Villa und Amsterdam. Ich sagte nicht viel, trank dafür umso mehr.
November hatte sich unter dem Tisch auf meine Füße gelegt. Wie immer schien er was zu spüren. Auch Nele warf mir hier und da einen Blick zu, aber außer meiner Hand forderte sie nichts von mir. Sie machte sich sicher so ihre Gedanken über das komische Verhalten ihres Freundes. Irgendwann würde sie mich danach fragen, und ich hatte nicht die geringste Ahnung, was ich ihr dann sagen sollte. Hi, Süße, was hältst du von einem neuen Zimmer? Mit gepolsterten Wänden. Gott, mir rauchte der Schädel. Alles, was ich wollte, war, fünf Stunden lang auf den Fernseher zu glotzen, ohne ein Wort zu sprechen. Langsam verstand ich, warum das Ding so erfolgreich war.
Als wir abwuschen, legte Nele mir ihre nassen Hände auf die Wangen und sah mir aus nächster Nähe in die Augen. »Alles in Ordnung?«
»Bin platt.«
»Wollen wir eine Runde laufen?«
Ich schüttelte den Kopf. Mir war nicht nach laufen. Es ging mir so schon alles zu schnell.
»Hallo«, sagte sie. »Atme mal zwischendurch.«
Ich füllte meine Lungen mit Luft und ließ sie langsam wieder entweichen. Neles Blick war warm und verständnisvoll. Ich sah sie ein bisschen verschwommen. Ich würde bald eine Brille brauchen. Brille. Klar sehen. Durchblicken. Jaja, was man nicht so alles dachte, wenn man erledigt war.
»Ist bestimmt schwer für euch. Da tauche ich plötzlich auf und bringe alles durcheinander …«
»Blödsinn.«
Sie lächelte.
»Wir sind ja nicht aus der Welt. Es sind ja nur ein paar Stunden mit dem Zug, da kann man auch mal spontan sein.«
Ich sah die Liebe in ihrem Blick und das Gefühl von Schuld, weil sie hier alles durcheinanderbrachte. Sie würde mir nie glauben, wie froh ich darüber war.
November kam herangetapst, drängte sich zwischen uns und setzte sich auf meine Füße. Nele lachte. Ich zog sie an mich und hielt sie fest.
Als wir uns voneinander lösten, fühlte ich mich besser.
»Supertherapie.«
Sie lächelte.
»Ja?«
Sie verabreichte mir noch eine Dosis, und als wir uns diesmal voneinander lösten, hatte ich eine Erektion. So schnell wurde das Leben wieder einfach.
»Ich hab eine Idee«, sagte sie.
»Hm.«
»Ich geh ins Bett und lese ein Buch.«
»Wollt ich gerade vorschlagen.«
Sie setzte mir die Kuppe ihres Zeigefingers auf die Brust.
»Und du machst dir einen schönen Abend mit Mor. Seitdem ich wieder da bin, hattet ihr kaum Zeit füreinander. Behalt aber dein Handy im Auge. Ich rufe dich an, bevor ich einschlafe.«
»Und dann?«
»Wirst schon sehen.«
Sie gab mir einen Kuss und wollte sich lösen. Ich zog sie wieder an mich und umarmte sie. Ich fühlte ihre Wärme und ihren Pulsschlag, roch ihren Geruch, der wie eine Aura um sie lag. Ich küsste ihr Ohr.
»Baby, fühlst du dich wohl?«
»Sehr«, flüsterte sie.
»Hast du vor irgendwas Angst?«
Sie bog sich nach hinten und sah mich überrascht an.
»Wovor sollte ich denn Angst haben?«
»Ich weiß nicht, ich frage bloß, weil … Ich weiß ja nicht, was du in den letzten Jahren so alles erlebt hast. Kann es sein, dass da noch was kommt?«
Ihr Blick wurde reserviert.
»Du meinst, jemand …«
Ich sah sie bloß an. Sie schüttelte den Kopf.
»Da kommt keiner.«
»Gut, und sonst? Falls du dir irgendwie Sorgen machst, sagst du es mir, ja?«
Sie musterte mich eingehend.
»Paul, ich mache mir keine Sorgen, im Gegenteil.«
Ich versank in ihrem Blick und wusste nicht, was ich sagen sollte. Ach, übrigens, ich habe dich überprüft. Ich war heute in Köln, du hast noch mehr Filmrisse gehabt, dein letzter Kunde mochte dich, Nissen will dich in die Klapse stecken, aber sonst ist alles beim
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