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Nele Paul - Roman

Titel: Nele Paul - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel Birbaek
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Hilfe bekommen.«
    »Vielleicht hat sie es ja auch ohne Therapie auf die Reihe gekriegt, so was soll’s geben.«
    »Natürlich«, sagte er sarkastisch. »Bis auf die Tatsache, dass sie umkippt und Leute angreift, ist sie ja völlig im Gleichklang mit sich.«
    Ich sah ihn überrascht an. Sarkasmus war ich nicht von ihm gewohnt.
    Er machte eine Handbewegung.
    »Entschuldige. Deine Panik vor Psychologie kann einen wirklich auf die Palme bringen. Und du bist ja nicht der Einzige.« Er ließ seinen Blick wieder durch den Garten schweifen. »Als Neles Mutter starb, habe ich Hans nahegelegt, Nele professionelle Hilfe zu geben, aber seine Panik vor einer Therapie war, glaube ich, noch größer als deine.«
    Ich sah zu November hinunter, der immer noch an dem Skelett nagte, und versuchte runterzukommen. Als mein Vater uns das zweite Mal verließ, hatte Mor mich zu Nissen geschickt, damit ich mich mal so richtig aussprechen konnte. Wir führten Gespräche über meine Gefühle. Ich kann nicht behaupten, dass es mir nicht geholfen hat, aber die Wut auf meinen Vater blieb. Wochenlang rannte ich mit dieser Wut herum, bis zu dem Tag, wo Rokko vorschlug, ich solle mir vorstellen, dass er mein Vater ist, und ihnverprügeln. Es wurde wild. Wir prügelten uns wie nie wieder in unserem Leben. Danach weinte ich eine Zeit lang. Und dann fühlte ich mich zum ersten Mal wieder besser. Seit diesem Tag wusste ich, dass man nicht immer alles verstehen musste, manchmal half es, erst mal wütend zu werden, und vielleicht war es genau das, was Nele gerade machte – wütend werden. Vielleicht würde sie sich jetzt, wo sie Telly verprügelt hatte, genauso beruhigen, wie ich mich damals nach der Schlägerei beruhigt hatte. Aber Nissen war sechzig Jahre lang Arzt, Vertrauensmann und Beichtvater für Generationen im Umkreis von zwanzig Kilometern gewesen und kannte uns beide seit der Geburt. Er mochte uns. Mir war klar, dass alles, was er sagte, zu Neles Bestem war, also sollte ich ihm zumindest zuhören. Falls irgendwas mit ihr nicht stimmte, würde er mir helfen, ihr zu helfen. Falls ich ihn nicht so nervte, dass er mich vorher von der Veranda warf.
    »Was, wenn sie doch einen Tumor hat? So was kann doch aufs Gehirn drücken und epileptische Anfälle auslösen.« »Das hier sieht aber nicht nach einem epileptischen Anfall aus. Es sieht eher so aus, als würden angestaute Emotionen freigelassen werden.«
    Ich lehnte mich zurück und versuchte darüber nachzudenken. Er nahm sein Glas, trank einen großen Schluck und stellte es wieder ab. Er holte ein Taschentuch aus der Hosentasche, wischte sich damit über den Nacken, steckte es wieder in die Tasche und sah mich an.
    »Wie sieht’s aus mit Drogen?«
    Ich zuckte die Schultern. Nele hatte in Amerika bestimmt ihre Erfahrungen mit Drogen gemacht, und wer wusste schon, ab wann eine Partydroge noch Party war. Aber sie hatte nichts genommen, seitdem sie wieder da war. Zum einen hätte ich es gemerkt, zum anderen hätte sie es mir gesagt. Hätte sie doch, oder?
    »Paul?«
    Ich sah ihn an.
    »Sie nimmt keine Drogen.«
    »Wir müssen ja nicht darüber reden, aber bevor du gehst …« Er drückte wieder die Fingerspitzen gegeneinander. »Hör’s dir erst an, bevor du dich aufregst.«
    Ich ahnte, was er vorschlagen würde. Konnte nur eine Form von Therapie sein.
    »Ich glaube, es wäre gut für Nele, wenn sie die Hilfe eines guten Therapeuten in Anspruch nehmen würde. Ich denke, ich kenne da auch den richtigen für sie.«
    »Wenn Sie glauben, das hilft, fragen wir sie, ob sie Lust hat.«
    Er senkte den Kopf und sah mich über den Rand der Brille an.
    »Der, den ich meine, arbeitet in einer Klinik in Ahrweiler.« Ahrweiler? Das war ein ganzes Stück weit weg. Ich brauchte einen Augenblick, bis ich es verstand.
    »Sie meinen … sie soll da bleiben?«
    »So etwas braucht ein bisschen länger als ein EKG.«
    Ich fragte mich, ob er vielleicht langsam senil wurde. Der Gedanke, Nele in einer psychiatrischen Klinik einzuliefern, war einfach zu bizarr. Scheiße. Er meinte es gut mit ihr. Ich sollte also ernsthaft darüber nachdenken, wieso er so etwas vorschlug.
    Ich drückte meine Hände gegen die Schläfen. Er sah mich milde an.
    »Kopfschmerzen?«
    »Ist alles ein bisschen viel heute.«
    »Wir können ja morgen weiterreden.«
    »Ja«, sagte ich und stand sofort auf. Ich wollte nichts als weg.
    »Denkst du darüber nach?«
    »Ja«, sagte ich genervt.
    »Gut«, sagte er. »Denn alles, was wir über diese Anfälle

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