Nelken fuers Knopfloch
Marcel. »Vielleicht ist er sogar Magister der Freien Künste und besitzt ein Doktordiplom?«
»Vorläufig hat er immer noch Flöhe!« stellte Heliane fest. »Aber sie scheinen betäubt oder betrunken zu sein.«
Pforten führte den Hund auf den Rasen zurück, wo die Streudose lag. Er stäubte ihn zum zweitenmal ein und band ihn im Schatten eines Fliederstrauchs fest.
Das Mädchen Margot erschien in der Tür und meldete einen Anruf für Pforten.
»Sagen Sie, daß ich verstorben bin!« rief er ihr zu.
»Die Dame sagt aber, sie wüßte, daß Sie daheim sind.«
»Wer ist es denn?« fragte er ungehalten.
»Ein Fräulein Simon oder so ähnlich...«
»Was will denn die schon wieder?« knurrte er und folgte dem Mädchen ins Haus. Er nahm in der Halle den Hörer auf und nannte seinen Namen.
Die Stimme von Simone Simpson klang erregt an sein Ohr: »Denk dir, Michael, Bugatzki will mir die Rolle in deinem Film geben! Zufällig war auch Herr Ruhland bei ihm. Er will morgen mit mir ein paar Probeaufnahmen machen. Ich bin ja so glücklich! Und ich bin dir so dankbar! Was sagst du dazu?«
Durch den Perlenvorhang, den er auf seiner letzten Italienreise in Syrakus erworben und nach Sachrang mitgebracht hatte — dieser Vorhang war ein ausgezeichneter Fliegenschutz — , sah er Heliane, die Marcel die zweite Tasse Tee einschenkte und das Gespräch mit halbem Ohr verfolgte.
»Das ist eine erfreuliche Nachricht, Fräulein Simpson«, sagte er laut und kühl, »ich gratuliere Ihnen. Vielleicht komme ich morgen zu den Probeaufnahmen ins Atelier. Im Augenblick bin ich gerade dabei, unseren gemeinsamen Partner von seinen Flöhen zu befreien. Auf Wiedersehen also bis morgen.«
Er hängte ein und trat, den Vorhang mit einer Schwimmbewegung teilend, auf die Terrasse hinaus.
»Simone Simpson...«, sagte er mit einer kleinen Verbeugung, »damit steht die Besetzung des Films. Eine Anfängerin. Aber weshalb sollte ich diesem Mädchen keine Chance geben?« Es klang väterlich und gönnerhaft.
»Ist sie sehr hübsch?« fragte Heliane lächelnd.
Pforten spitzte die Lippen und legte den Kopf ein wenig schief auf die Schulter, als wäre die Frage nicht ganz einfach zu beantworten. »Sie ist keine Schönheit. Aber sie ist sehr attraktiv. Sie ist genau der richtige Typ für die Rolle.«
»Nun, ich werde sie ja kennenlernen«, sagte Heliane.
Pforten ließ sich auf einem Gartenstuhl nieder und griff nach den Zigaretten. »Wenn du es durchaus haben willst, kann ich sie ja gelegentlich einmal nach Sachrang mitbringen...«
Etienne setzte seine Tasse ab, er schien zu erwarten, daß Heliane erwidern werde, Pforten scheine sie falsch verstanden zu haben, denn von solch einem Wunsch sei nicht die Rede gewesen. Aber Heliane schwieg, griff ebenfalls nach einer Zigarette und ließ sich von Michael Feuer geben.
7
Den Sportplatz des Landschulheims Hartenstein hatten die Schüler zum größten Teil selber angelegt. Auf einer großen Wiese in der Nähe der Schul-, Wohn- und Verwaltungsgebäude, an deren Rand ein von alten Weiden eingesäumter Mühlbach dahinrauschte, lag der Fußballplatz, und um ihn herum lief eine Vierhundertmeterbahn, bei der eine Sprintstrecke von rund einhundertzwanzig Metern sogar mit festgestampfter Koksschlacke belegt war. Sandgruben für Hoch- und Weitsprung waren ebenfalls vorhanden, und im Mühlbach konnte man sich, wenn es auch verboten war, nach heißen Fußballschlachten abfrischen.
An diesem Nachmittag, dem letzten Schultag vor den Sommerferien, waren die hundertvierzig Schüler, die zum größten Teil als Interne in Hartenstein lebten, fast vollzählig auf dem Sportplatz versammelt. Es ging um einen Leichtathletikwettkampf, bei dem an die Besten in den einzelnen Disziplinen Plaketten, Diplome und Meistertitel vergeben werden sollten. Die jüngeren Lehrer tummelten sich in Dreß und Spikes mit den Schülern auf dem Rasen. Der Chef des Landschulheimes, Dr. Herterich, seine Gattin, von den Jungen >Cheffeuse< genannt, und Primelchen, Fräulein Annelies Primula, Schulsekretärin und Schwarm der älteren Jahrgänge, mimten mit zwei Herren, die aus dem Alter aktiver Sportbetätigung heraus waren, die sachverständigen Zuschauer. Sie saßen, das kühle Plätschern des Mühlbaches hinter sich, auf einer Bank neben der Aschenbahn, über die schon der silbrige Schatten der Weidenbäume fiel.
Manfred Pforten, der bereits zur Klasse der Senioren gehörte, während sein Bruder Thomas unter den Junioren kämpfte, hatte im
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