Nelken fuers Knopfloch
mußt du die Löcher etwas tiefer vorbohren, sonst brichst du dir die Finger ab.«
»Was gibt’s denn?« fragte Tom ungnädig und schielte auf Etienne, der den Bohrer ansetzte. »Mach die Löcher um Himmels willen nicht so groß, Onkel Marcel, sonst fliegt mir der Motor gleich bei der ersten Fahrt ins Kreuz!«
»Ich wollte dir nur erzählen«, sagte Heliane etwas überhastet, »bevor du es vielleicht von jemand anderem hörst, der sich damit wichtig machen möchte, daß Manfred nicht dein richtiger Bruder sei... Das stimmt. Paps und ich haben Manfred adoptiert. Er war ein knappes Jahr alt, als seine Eltern bei einem Autounfall ums Leben kamen. Und da haben wir ihn zu uns genommen...«
»Ich werd’ verrückt!«, sagte Tom, aber er schien nicht allzu überrascht zu sein. »Dann stimmt es also doch, was mir der Berwanger Heini am letzten Tag in Hartenstein geflüstert hat, daß der Grafenstetter seine Abreibung von Fredi deshalb bezog, weil er in der Penne rumgetragen hat, der Manfred wäre bloß adompiert...«
»Adoptiert!« stellte Etienne richtig und warf Heliane einen hintergründigen Blick zu.
»Na schön, dann eben adoptiert«, sagte Tom achselzuckend. »Na und? Wenn er noch so klein war und seine Eltern gerade gestorben waren, dann war es doch hochanständig von euch, daß ihr ihn zu uns genommen habt...«
»Nun ja«, murmelte Heliane und putzte sich die Nase, »wir hielten es für unsere Pflicht.«
»Da bin ich aber richtig froh drum«, meinte Tom nervös, denn die Löcher, die Etienne bohrte, gerieten seiner Meinung nach für die Schrauben einfach zu groß, »es wäre ja auch stinklangweilig für mich gewesen, hier immer allein zu sein oder höchstens mit den Muhackeln vom Dorf... Und weißt du was, Onkel Marcel, wir bohren die Löcher lieber gleich ganz durch und nehmen Mutterschrauben. Die halten den Motor unter Garantie. Aber wo krieg ich die Muttern her?«
»Du kannst es ja beim Schmied im Dorf versuchen...«
»Und hier?« fragte Tom und rieb den Daumen gegen den Zeigefinger. »Spendierst du mir eine Mark, Mutti?«
Etienne griff in die Tasche und holte ein paar Münzen heraus.
»Hau schon ab!« sagte er und gab Tom mit einem herzhaften Schlag auf den Hintern eine kleine Beschleunigung mit auf den Weg. Der Junge stob davon, mit dem Geld, das ihm übrigblieb, konnte er sich beim Dorfkrämer ein ganzes Paket Kaugummi kaufen. Ein richtiger Glückstag...
»Was sagst du jetzt?« fragte Etienne schmunzelnd und betrachtete seine Hände, an denen er gewiß eine halbe Stunde lang herumschrubben mußte, um die rote Ölfarbe loszuwerden.
»Muhackln...!« seufzte Heliane. »Ob er überhaupt verstanden hat, was ich ihm erzählt habe?«
»Natürlich hat er es verstanden — aber der Indianer zeigt keine Gemütsbewegung!« Er nahm ihren Arm und führte sie zum Hause zurück. Sie erzählte ihm, was sich inzwischen ereignet hatte, und ihr wurde wieder die Kehle eng, als sie ihm schilderte, wie Manfred den Anblick der Bilder seiner Eltern aufgenommen hatte.
»Was hast du erwartet?« fragte er nachdenklich. »Man kann Toten doch nur dann ein Andenken bewahren, wenn man sie gekannt hat. Was bedeuten ihm die Fotos, die du ihm gezeigt hast? Soviel wie nichts — und ich möchte fast annehmen, daß sie ihm auch in Zukunft nicht mehr sagen werden.«
»Und dabei empfinde ich ein Schuldgefühl!« sagte Heliane bitter. »Ich hätte die Pflicht gehabt, in Manfred von frühester Kindheit an das Andenken an seine Eltern wachzuhalten. Aber ich war egoistisch und wollte ihn für mich allein haben und mit niemand teilen, nicht einmal mit den Toten. Findest du das etwa richtig?«
»Falsch oder richtig, was spielt das für eine Rolle? Wenn Manfreds Eltern eure Freunde gewesen wären, dann läge die Sache vielleicht anders, aber was wußtet ihr mehr von ihnen als ihre Namen und die dürftigen Daten von Geburt und Tod? Du hättest rührende Geschichten erfinden müssen, um die verblaßten Fotos etwas bunter zu machen. Schlag dir diese Gedanken aus dem Kopf. Sie führen zu nichts. Was du Egoismus nennst, nenne ich Liebe. Du hast Liebe empfangen, und du hast Liebe gegeben. Das bindet dich an den Jungen, und das bindet den Jungen an dich!« Er nahm sie für einen Augenblick in den Arm und hob ihr Kinn zu sich empor: »So, mein Herz, und jetzt mach ein fröhliches Gesicht und laß die Selbstvorwürfe. Eines Tages wird der Junge den Weg zu seinen Eltern ganz von selbst finden. Vielleicht...«
»Ach, Marcel!« sagte sie
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