Nelson, das Weihnachtskaetzchen
Nachbarn schon alles installiert. Aber in ihrer Familie schien das noch keinem aufgefallen zu sein.
Langsam überkam sie der Verdacht, den Kindern wäre es völlig egal, wenn Weihnachten ausfiele – zumindest, solange sie ihre Geschenke bekämen.
Sie stellte den Karton auf den Küchentisch und öffnete ihn. Die Leuchtsterne für die Blumenkästen lagen obenauf. Darunter war der Kranz für die Haustür, mit roten Glaskugeln und breiten Schleifen. Und am Boden des Kartons lag die große Lichterkette, die sie in die Tanne im Vorgarten hängen würde. Das schwere Kabel war an mehreren Stellen völlig verknotet, ein richtiger Kabelsalat. Vorsichtig hob sie alles heraus und legte es auf den Tisch.
Klaus durchquerte mit Kaffee und Sonntagszeitung die Küche. Er wollte sich in den Wohnzimmersessel setzen und in Ruhe in der Zeitung blättern, so wie er es jeden Sonntag tat. Im Vorbeigehen gab er ihr einen Kuss, dabei fiel sein Blick auf den Lichterschmuck.
»Schönen ersten Advent«, sagte er. »Das habe ich heute Morgen ganz vergessen.«
»Macht doch nichts.« Sie stieß einen Seufzer aus. »Ich bin viel zu spät dran damit, die anderen in der Straße haben längst alles fertig, pünktlich zum Adventsbeginn.«
»Dann sind wir eben ein bisschen später. Das spielt doch keine Rolle. Soll ich dir dabei helfen?«
»Nein, ich mache das schon. Lies du nur in Ruhe deine Zeitung.«
Sie sah ihrem Mann nach, der es sich nebenan gemütlich machte. Auch ihm schien das nicht wichtig zu sein. War sie denn wirklich die Einzige hier, die sich auf Weihnachten freute? Enttäuscht fummelte sie an den verknoteten Kabeln herum.
Laura betrat im Nachthemd die Küche. Am Sonntag durften die Kinder so lange schlafen, wie sie wollten, und Laura reizte das immer bis zum Gehtnichtmehr aus. Es war fast Mittag. Sie schlurfte zur Anrichte, wühlte im Brotkasten herum und zog ein Croissant heraus, das vom Frühstück übrig geblieben war. Sie behandelte ihre Mutter wieder einmal, als wäre sie gar nicht anwesend.
»Dir auch einen guten Morgen«, sagte Anna gereizt.
Laura verdrehte die Augen. Sie drehte sich um und wollte mit dem Croissant sofort wieder aus der Küche verschwinden.
»Laura, du gehst damit nicht in dein Zimmer! Ich will nicht, dass ihr da oben alles vollkrümelt, das weißt du genau. Ich muss nachher wieder alles hinter euch wegputzen.«
Laura stöhnte auf und schleppte sich zurück zur Anrichte, wo sie begann, das Croissant wie bei einem Wettessen hinunterzuschlingen. Anna wurde ärgerlich.
»Ist das denn so eine Zumutung, mal fünf Minuten zusammen mit deiner Mutter in der Küche zu sein?«
»Mama!«, kam es von Laura vorwurfsvoll und mit vollem Mund.
Anna wollte nicht weiter drauf eingehen.
»Was hast du denn heute vor?«, fragte sie stattdessen. »Du denkst doch daran, noch deine Französischvokabeln zu lernen?«
»Die kann ich schon.«
»Tatsächlich? Soll ich dich mal abhören?«
»Nicht nötig. Ich sag doch, ich kann sie.«
Anna war davon nicht überzeugt. Doch bevor sie etwas sagen konnte, kam Laura ihr zuvor.
»Ich geh heute Nachmittag zu Louisa. Ann-Sophie ist auch da. Und Louisas Mutter will uns später was kochen, wir sind alle zum Abendessen eingeladen.«
»Zum Abendessen? Wie lange willst du denn bleiben?«
»Papa sagt, wenn Louisas Vater mich nach Hause bringt, darf ich ruhig bis neun bleiben.«
»Bis neun? Aber heute ist doch der erste Advent!«
Anna warf einen Blick durch die offene Tür ins Wohnzimmer. Klaus saß hinter seiner Zeitung, aber sie erkannte, wie sich seine Schultern verkrampften.
Warum erlaubte er immer solche Dinge, ohne es vorher mit ihr abzusprechen?
Zu Laura sagte sie: »Wir wollen doch heute Abend ein bisschen Advent feiern. Ich dachte, du hättest vielleicht Lust, deine Blockflöte rauszukramen und ein paar Adventslieder zu spielen. So wie früher.«
»Bitte, Mama!« Im Gesicht ihrer Tochter spiegelten sich Erschrecken und Empörung. »Ich hab da echt keinen Bock drauf. Außerdem hat Papa schon gesagt, ich darf …«
»Früher habt ihr doch immer so gerne Adventslieder gesungen. Das hat so viel Spaß gemacht.«
»Adventslieder sind aber voll peinlich.«
»Ach ja?« Anna wurde laut. »Dann bin ich dir vielleicht auch peinlich?«
»Ich spiel jedenfalls keine Flöte. Lieber sterbe ich. Außerdem hat’s Papa schon erlaubt.«
Anna wusste, dass dieser Streit sinnlos war, trotzdem konnte sie sich nicht bremsen.
»Für wen mach ich mir hier eigentlich die Mühe? Ich steh den
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