Nelson, das Weihnachtskaetzchen
dich nicht … ich will dich nicht in die Ecke drängen.«
Jetzt wusste er, was er sagen sollte. Es war gut gewesen, sich vorher nichts zurechtzulegen.
»Du musst gar nichts sagen, Anna. Und nichts tun. Ich bin nur gekommen, um dir etwas mitzuteilen. Danach gehe ich wieder.«
»Vater, ich weiß nicht. Ich habe wenig Zeit. Du hättest dich anmelden sollen.«
»Nur eine Minute, Anna. Um mehr bitte ich dich nicht. Du sollst mir nur eine Minute lang zuhören.«
Anna blickte zur Straße, als würde sie nach etwas suchen, was ihr eine Fluchtmöglichkeit böte.
»Mehr verlange ich nicht«, sagte Arthur.
»Also gut. Dann sag es schon. Weshalb bist du gekommen?«
»Ich möchte dir einfach sagen, dass es mir leidtut. Ich habe damals viel gesagt, was ich gern zurücknehmen würde. Ich würde vieles gerne ungeschehen machen. Kein Vater sollte so mit seiner Tochter reden, wie ich es getan habe. Es gibt keine Entschuldigung dafür. Trotzdem ist da etwas, was du wissen sollst. Ich liebe dich. Und ich vermisse meine Tochter. Ich bin gekommen, um dir das zu sagen. Ich liebe dich.« Er lächelte unbeholfen. »Und jetzt lasse ich dich in Ruhe.«
»Warte! Vielleicht …« Anna wirkte völlig verwirrt und überfordert. »Willst du nicht vielleicht reinkommen?«
»Ich komme wieder. Vielleicht reden wir dann. Natürlich nur, wenn du das möchtest. Für heute wollte ich dir nur das sagen. Mehr nicht. Auf Wiedersehen, meine liebe Anna. Vielleicht bis bald.«
Sie wirkte immer noch wie benommen. Doch sie nickte. Sie schien einverstanden zu sein.
»Auf Wiedersehen, Vater«, sagte sie.
Er drehte sich um und ging zurück zum Bus. Dabei fühlte er sich wie nach einem Boxkampf. Es war nur ein kurzer Besuch gewesen, doch er war froh, als der Bus kam und er sich endlich setzen konnte.
Er hoffte, das Richtige getan zu haben. Er wollte heute keine Entscheidung von Anna. Er wollte sie zu nichts drängen. Er wollte ihr nur von seinen Gefühlen erzählen. Er hatte eine Tür geöffnet. Jetzt musste Anna überlegen, was sie damit machen würde. Wenn sie wollte, konnte sie hindurchgehen. Wenn nicht, konnte sie diese Tür zuschlagen.
Eine Tür öffnen – das war bestimmt das Richtige. Mehr konnte ein Vater für eine Tochter nicht tun.
17
Anna warf die Haustür hinter sich zu, ging in die Küche und stellte die Einkäufe auf die Anrichte. Völlig durcheinander blickte sie die Straße hinunter, doch ihr Vater war bereits aus ihrem Blickfeld verschwunden. Als wäre sein Auftauchen nur ein Traum gewesen.
Sie bemerkte, wie ihre Hände zitterten. Nur mühsam gelang es ihr, die Einkäufe auszupacken und einzuräumen. Das Herz schlug ihr wild in der Brust. Hatte ihr Vater sie vielleicht auf dem Weihnachtsmarkt gesehen? War er deshalb hergekommen? Weil er wissen wollte, was sie dort gewollt hatte?
Misstrauen. Schon wieder Misstrauen. Aber das war kein Wunder, nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Doch ihr Vater wollte Versöhnung, das hatte er klar zum Ausdruck gebracht. Offenbar wollte er tatsächlich alles vergessen, was gewesen war. Anna fragte sich, ob das so einfach möglich war.
Viel Zeit war vergangen, seit sie das letzte Mal miteinander geredet hatten, und ihr war gar nicht bewusst gewesen, wie sehr sie ihn trotz allem vermisste. Erst als er eben vor ihr gestanden hatte, war ihr das klar geworden. Sie vermisste ihn so sehr, dass sie ihm jetzt am liebsten hinterhergelaufen wäre.
Aber das durfte sie nicht. Sie wollte sich nicht von ihren Gefühlen leiten lassen, sondern nüchtern und sachlich bleiben. Erst einmal ihre Lage überdenken. Sprach denn überhaupt etwas dafür, sich mit ihm zu versöhnen? Wäre es nicht besser, sie gingen weiterhin getrennte Wege? Dann müssten sie all die Geschichten von damals nicht wieder hervorholen.
Anna machte sich Vorwürfe, weil sie ihrem Vater damals schreckliche Sachen an den Kopf geworfen hatte. Er habe Mutter im Sterben alleingelassen und sei nur eine zusätzliche Last für sie gewesen, weil er sie nicht habe gehen lassen wollen. Sie konnte sich gar nicht mehr an all die schlimmen Dinge erinnern. Heute fragte sie sich, wie sie so etwas nur hatte sagen können. Es stimmte doch alles gar nicht. Sie hatte ihn damit nur verletzen wollen. Die Liebe ihrer Eltern war etwas Besonderes gewesen, auch am Schluss, als ihr Vater das Sterben seiner geliebten Frau nicht akzeptieren konnte.
Aber auch ihr Vater hatte grauenhafte Dinge gesagt. Er hatte ihr die Schuld für Mutters Tod gegeben, sie eine
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