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Nelson, das Weihnachtskaetzchen

Nelson, das Weihnachtskaetzchen

Titel: Nelson, das Weihnachtskaetzchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannes Steinbach
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schon überall in ihrem Körper Metastasen gebildet hatten. Es hatte keine Heilungschancen mehr gegeben. Die Operation hätte den Tod nur noch ein wenig hinausgezögert, Sophies Schmerzen und ihr Siechtum verlängert. Mehr hatten die Ärzte nicht mehr tun können.
    Aber Arthur hatte das nicht akzeptieren wollen. Seine Frau sollte leben. Bis zum Schluss klammerte er sich an den letzten Funken vermeintlicher Hoffnung. Er war überzeugt gewesen, diese Operation hätte Sophie noch retten können. Es war die letzte Chance gewesen, ihr gemeinsames Leben doch noch fortzusetzen. Und da hatte seine Tochter sich angemaßt, ihrer Mutter von der Operation abzuraten. Er war blind gewesen vor Wut. Er hatte nicht mehr klar denken können.
    Heute wusste er, dass es wohl das Beste gewesen war. Und Sophie hatte das schon damals erkannt. Ihr war dadurch die Möglichkeit geblieben, in Würde und als Mensch zu sterben. Sie hatte es ihrem ausgezehrten Körper erspart, weitere lange Wochen angekabelt an einem Bett auf der Intensivstation dahinzuvegetieren, bis schließlich auch die moderne Medizin vor dem Tod hätte kapitulieren müssen.
    Als sie schließlich gegangen war, stürzte Arthur in ein großes schwarzes Loch. Am liebsten wäre er ihr gefolgt. Was sollte er denn noch hier? Ohne Sophie? Er war so wütend gewesen und so verzweifelt. Er brauchte jemanden, dem er die Schuld für ihren Tod geben konnte. Und seine Tochter hatte dann alles ausbaden müssen.
    »Diese OP hätte sie gerettet!«, hatte er ihr vorgeworfen. »Du bist für den Tod deiner Mutter verantwortlich!« Und: »Du hast sie auf dem Gewissen.«
    Dabei war Anna doch genauso verzweifelt gewesen wie er. Sie hatte ihre über alles geliebte Mutter verloren. Doch anstatt sich gegenseitig zu trösten, überschütteten sie sich nun mit Vorwürfen. Denn auch Anna brauchte ein Ventil für ihre Trauer.
    »Wenigstens war ich da für Mama!«, schrie sie ihn an. »Du dagegen warst für sie doch nur eine zusätzliche Belastung! Sie musste nicht nur ihre Krankheit ertragen, sie musste auch dich ertragen!«
    Sie hatten sich immer mehr in ihre Vorwürfe hineingesteigert, bis Arthur schließlich schrie: »Du Mörderin! Du bist nicht mehr meine Tochter! Ich will dich nie wieder sehen.«
    Worte können schreckliche Waffen sein. Sie können größeres Unheil anrichten als alles andere. Seitdem war Arthurs Leben zu einem Kerker geworden. Er hatte dicke Mauern um sich errichtet, hatte die Kerkertür zugeschlagen und den Schlüssel weggeworfen. Die Verletzungen saßen so tief, da wollte er nie wieder Menschen in sein Leben lassen.
    Aber vielleicht gab es ja doch Vergebung. Vielleicht konnten sie neu anfangen, trotz allem, was geschehen war. Schließlich waren sie immer noch Vater und Tochter. Und das bedeutete doch etwas.
    Zögerlich ging Arthur zur Haustür. Ein bunt bemaltes Gebilde aus Salzteig hing an der Tür. »Hier wohnen Max, Laura, Anna und Klaus«, stand darauf. Arthur fühlte sich elend. Wie es den Kindern wohl ging? Ob sie überhaupt noch an ihn dachten? Sie hatte er ebenfalls verloren.
    Er nahm seinen Mut zusammen und drückte die Klingel. Nichts tat sich. Er machte einen Schritt zurück. Nirgendwo brannte Licht. War er umsonst gekommen? Er hatte vorher bewusst nicht angerufen. Er wollte persönlich mit Anna sprechen, nicht am Telefon. Um diese Zeit kochte sie für gewöhnlich das Mittagessen für die beiden Kinder. Aber die waren inzwischen wahrscheinlich alt genug, um für sich selbst zu sorgen.
    Das Herz wurde ihm schwer. Er war vergebens gekommen. Alles war umsonst. Er fragte sich: Würde er ein weiteres Mal den Mut finden, sich auf diese Reise zu begeben?
    Scheinwerferlicht durchschnitt den diesigen Nachmittag. Ein Auto fuhr die Straße herauf. Es steuerte das Haus der Familie Brandt an und fuhr dann auf ihre Auffahrt. Arthur erkannte Anna hinterm Steuer. Da war sie also doch! Sie trat in Gedanken auf die Straße, nahm eine Tüte mit Einkäufen von der Rückbank und kam auf das Haus zu.
    Als sie ihn vor der Haustür entdeckte, geriet sie ins Straucheln. Sie starrte ihn an wie eine Erscheinung.
    »Vater?«, fragte sie ungläubig.
    »Ich … entschuldige bitte, wenn ich unangekündigt auftauche, aber ich dachte … Ich dachte, besser so, als am Telefon miteinander zu reden.«
    »Ich … weiß nicht, was ich sagen soll.« Als könne sie die Last der Einkäufe nicht mehr tragen, stellte sie die Tüte vor der Tür ab. »Ich bin ziemlich überrumpelt.«
    »Das tut mir leid. Ich wollte

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