Nelson DeMille
auf. »Wer ist noch alles dort?«
»Anthony natürlich, seine Frau Megan, ihre zwei Kinder wahrscheinlich und vermutlich Anna. Ich weiß nicht, wer sonst noch kommt.«
»In Ordnung ... Ich vertraue deinem Urteilsvermögen.«
Wir gingen in die Küche zurück, und ich sagte zu ihr: »Eigentlich will ich gar nicht zum Essen bleiben.«
Ich nahm meine Autoschlüssel vom Schlüsselhaken.
»Du solltest ein Gastgeschenk für seine Frau mitbringen.«
Susans Hinweis, dass ich die Etikette nicht vergessen sollte, wenn ich mit einem Mann speiste, der höchstwahrscheinlich ihren Tod wollte, hatte fast schon etwas Komisches an sich. Nun ja, in Susans Welt hat das eine nichts mit dem anderen zu tun.
Ich öffnete die Tür zur Speisekammer, hatte aber keinen Wein mehr, daher nahm ich ein Glas mit Ethels Holzapfelgelee, aufdem ihr persönliches Etikett mit dem Einmachdatum klebte. »Das ist ein 1999er. Passt gut zu Lasagne.«
Susan gab keinen Kommentar dazu ab. Stattdessen sagte sie: »Solange du weg bist, packe ich deine Sachen und bringe sie in unser Haus.«
»Danke. Aber ich ziehe wieder hierher, wenn deine Eltern kommen.« »Es wäre schön, wenn wir alle unter einem Dach wohnen könnten.« »Es gibt kein Dach, das groß genug dafür ist.« »Lass uns doch erst einmal sehen, wie es läuft.«
Ich wollte jetzt nicht darüber sprechen, deshalb sagte ich: »Okay, ciao.« »sag >Va alinferno< zu ihm, wenn du gehst.« »Wird gemacht.«
Wir küssten uns, und sie sagte: »Viel Glück.«
Ich verließ das Pförtnerhaus und stieg in mein Auto, stieß durch das offene Tor von Stanhope Hall, bog links auf die Grace Lane ab und begab mich auf die kurze Fahrt nach Alhambra.
Zehn Jahre zuvor war mein erster Besuch in Alhambra ein gewaltiger Fehler gewesen; der heutige Besuch bot mir die Gelegenheit, diesen Fehler auszubügeln.
30
Also auf zum Sonntagsessen bei den Bellarosas.
Vom Pförtnerhaus von Stanhope Hall bis zum Pförtnerhaus von Alhambra sind es etwa vierhundert Meter, und auf der ersten Hälfte dieser Strecke ist die Grace Lane von der grauen Steinmauer des Stanhope'schen Anwesens gesäumt, die dort endet, wo die hell verputzte Ziegelmauer von Alhambra anfängt.
Auf dem Höhepunkt ihrer Macht und ihres Reichtums, also am Tag vor dem Börsenkrach von 1929, rühmte sich die Gold Coast über zweihundert großer Anwesen und ebenso vieler kleinerer Herren- und Landhäuser.
Ein Gentleman und seine Familie, die in einer Villa an der Fifth Avenue wohnten, konnten in einer Stunde hier auf ihrem Landsitz sein, wenn sie mit einem privaten Eisenbahnwagen reisten, oder sie konnten eine gemächliche zweistündige Kreuzfahrt mit seiner Yacht unternehmen. Der Gentleman hatte außerdem die Möglichkeit, in seiner von einem Chauffeur gesteuerten Limousine über die Vanderbilt Toll Road hierher zu fahren, die Mr William K. Vanderbilt jr. für sich und seine Freunde hatte bauen lassen und die andere gegen eine Mautgebühr benutzen durften. Das waren die guten alten Zeiten, wie man so schön sagt.
Mauern oder schmiedeeiserne Zäune umgaben die meisten Anwesen, darin eingelassen die Tore mit Pförtnerhäusern. Viele dieser Bauwerke sind erhalten und erinnern an eine Vergangenheit, die nur eine kurze Blütezeit erlebte, aber nichtsdestotrotz im Bewusstsein derer, die jetzt hier leben, noch immer eine große Rolle spielt. Das Problem, wenn man an einem solchen Ort wohnt, sind, glaube ich, die vielen Hinweise rundherum, die besagen, dass es möglicherweise wirklich ein goldenes Zeitalter gegeben hat, das besser war als das Jetzt und Heute.
Ich bremste ab, als ich mich dem ehemaligen Pförtnerhaus von Alhambra näherte, das jetzt als Schilderhaus für die bewachte Wohnanlage diente.
Auf einem Schild stand ALHAMBRA-ANLAGEN - PRIVAT - BEIM WACHSCHUTZ ANHALTEN.
Ich bog nach links auf die Zufahrt ab. Das große, schmiedeeiserne Tor stand of fen, und ich sah, dass die Kopf steinpflasterallee, die immer noch von stattlichen Pyramidenpappeln gesäumt wurde, mit einer Bodenschwelle und einer gelben Stopplinie versehen worden war.
Ich fuhr durch das Tor und hielt, wie angewiesen, beim alten Pförtnerhaus.
An der Tür des Hauses sah ich ein kleines Schild mit der Aufschrift ALHAMBRA-ANLAGEN - VERKAUF & MANAGEMENT. Außerdem bemerkte ich, dass man in die Seitenwand des Pförtnerhauses ein großes Fenster eingebaut hatte, hinter dem nun ein Mann mit einem militärisch wirkenden Khakihemd auftauchte. Er begrüßte mich mit einem falschen Lächeln und
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