Nelson DeMille
miteinander redeten, und warf einen letzten Blick auf Susan. Dann wandte ich mich ab und ging zu meinem Auto.
5
Tags darauf, am Mittwoch, war es bedeckt, daher hatte ich nichts dagegen, den ganzen Tag im Esszimmer zu sitzen, mich mit dem Papierkram zu befassen und meine Gedanken gelegentlich in die Vergangenheit schweifen zu lassen, die vor mir ausgebreitet lag.
Ich hatte die Nacktfotos von Susan noch immer nicht verbrannt und dachte wieder daran, sie ihr zu geben; sie gehörten nicht mir allein, und vielleicht wollte sie sie haben. Was würde Emily Post dazu sagen?
»Lieber Verwirrter auf Long Island, Nacktaufnahmen einer ehemaligen Gattin sollte man diskret zurückgeben, per Einschreiben und deutlich als solche gekennzeichnet. >Nacktaufnahmen - bitte nicht knicken<. Eine beigefügte Erklärung ist nicht unbedingt notwendig oder angebracht. Allerdings weisen die Absender in jüngster Zeit oftmals darauf hin, dass sie die Fotos nicht ins Internet gestellt haben. Der Empfänger sollte binnen zehn Tagen eine Empfangsbestätigung samt Dankeswort schicken. (Unterzeichnet) Emily Post.«
Was die Kommunikation zwischen ehemaligen Ehepartnern angeht, so hatten mir Edward und Carolyn bei meinen beziehungsweise ihren Anrufen die neue Telefonnummer ihrer Mutter gegeben und mir verraten, dass ihre Handynummer aus South Carolina noch gültig war. Außerdem besaß ich ihre E-Mail-Adresse, allerdings keinen Computer. Susan kannte natürlich Ethels Telefonnummer, die sich seit Franklin Delano Roosevelts Präsidentschaft nicht mehr geändert hatte. Daher ... sollte jemand jemanden anrufen.
Ich widmete mich wieder meinem Papierkram. Ich fand meine Heiratsurkunde und auch meinen Scheidungsbescheid und legte sie zusammen. Was dazwischenlag, war eine ganz andere Geschichte.
Was meinen Scheidungsbescheid anging, so brauchte ich ihn für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich wieder heiraten wollte. Tatsächlich hatte Samantha, die Frau in London, zu mir gesagt: »Warum heiraten wir nicht?«, worauf ich erwidert hatte: »Großartige Idee. Aber wer will uns haben?«
Ich hatte ein paarmal mit Samantha gesprochen, seit ich London verlassen hatte, und sie wollte nach New York fliegen, aber da unsere Beziehung in der Schwebe hing, war Samantha noch nicht in der Luft.
Ich zog einen braunen Umschlag zu mir, auf dem in Susans Handschrift »Fotos für Album« stand. Sie waren noch nicht in einem Album gelandet, und wahrscheinlich würde es auch nicht dazu kommen. Ich kippte die Fotos heraus und sah, dass auf einem Großteil von ihnen die Sutters, die Stan hopes und die Allards zu sehen waren, über viele Jahre hinweg aufgenommen, hauptsächlich an Feiertagen - Weihnachten, Ostern, Thanksgiving, bei Geburtstagen und alldem.
Die ganze Truppe war darauf - William und Charlotte Stanhope und ihr nichtsnutziger Sohn, Susans Bruder Peter, wie auch Susan selbst, die aussah wie fünfundzwanzig.
Dann war natürlich ich zu sehen, mit Edward und Carolyn, meinen Eltern Joseph und Harriet, und auf einem Foto war meine Schwester Emily mit ihrem Exmann Keith. Dazu ein hübscher Schnappschuss von meiner Tante Cornelia mit ihrem Mann, beide inzwischen verstorben.
Schwer zu glauben, dass es mal eine Zeit gegeben hatte, in der alle glücklich und am Leben waren. Nun ja, vielleicht nicht so glücklich, aber zumindest so begeistert, dass sie mit Hilfe von ein paar Cocktails in die Kamera lächelten.
Als ich mir die Fotos anschaute, konnte ich kaum fassen, dass so viele von diesen Leuten tot waren, geschieden oder, schlimmer noch, in Florida lebten.
Ich bemerkte ein altes Foto von Elizabeth Allard und erinnerte mich an den Anlass: Elizabeths College-Abschlussparty auf dem großen Rasen von Stanhope Hall, ein weiteres Beispiel von noblesse oblige, was so viel heißt wie »Sicher könnt ihr unsere Villa benutzen, das macht uns ganz und gar nichts aus«. Elizabeth, fiel mir auf, war viel hübscher, als ich sie in Erinnerung hatte. Eigentlich müsste ich sie anrufen, denn sie war die Testamentsvollstreckerin für den Nachlass ihrer Mutter.
Ich schob die Fotos beiseite, bis auf eines von George und Ethel. Langjährige Familienbedienstete sind häufig mehr als nur Angestellte, und die Allards waren die Letzten eines einstmals umfangreichen Hauspersonals, was mich daran erinnerte, dass ich Ethel besuchen musste. Ich musste das tun, weil ich ihr Anwalt war und wir trotz aller Differenzen einige Jahre unseres Lebens miteinander verbracht hatten, weil sie ebenso ein
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