Nelson DeMille
Teil meiner Geschichte war wie ich einer der ihren und wir alle im gleichen Drama mitgespielt hatten - die Allards, die Sutters und die Stanhopes -, das auf der Bühne eines halbverfallenen Anwesens in einer Welt ewigen Zwielichts aufgeführt worden war.
Heute Abend, entschied ich, war ein guter Zeitpunkt, Abschied zu nehmen; wahrscheinlich blieb mir ohnehin nicht mehr viel Zeit.
Das erinnerte mich daran, dass ich an diesem Abend eine andere Verabredung mit dem Schicksal hatte: Mr Anthony Bellarosa. Ich überlegte, ob ich das Essen absagen sollte, wusste aber nicht, wie ich ihn erreichen konnte. Und selbst wenn ich ihn versetzte, wäre ich ihn noch lange nicht los.
Was das Thema Anrufe anging, war Ethels rosa Prinzessinnentelefon aus dem Jahr 1970 mein einziges Kommunikationsmittel, und ich benutzte es eher selten, hauptsächlich, um Samantha, Edward, Carolyn und meine Schwester Emily in Texas anzurufen, die ich sehr liebte, und meine Mutter, die ... nun ja, sie ist meine Mutter. Was eingehende Anrufe betraf, so hatten Ethels ältere Freundinnen angerufen, denen ich die Nachricht überbrachte, dass Ethel im Hospiz lag. In diesem Alter sind solche Nachrichten weder schockierend noch allzu aufregend. Eine alte Dame hatte sogar vom gleichen Hospiz aus angerufen und war begeistert, als sie erfuhr, dass ihre Freundin eine Etage höher untergebracht war und sich am gleichen rutschigen Abhang befand.
Ethel hatte keine Anruferkennung, sodass ich mich jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, fragte, ob das Hospiz dran war, Mr Nasim, Susan oder Samantha, die mir mitteilen wollte, dass sie am JFK wartete. Ethel besaß einen Anrufbeantworter, aber der funktionierte anscheinend nicht, daher wusste ich nie, ob ich irgendwelche Anrufe verpasst hatte, wenn ich außer Haus war.
Die idiotische Kuckucksuhr in der Küche läutete viermal, was ich zum Anlass nahm, mich zu recken, durch die Hintertür in der Küche hinauszugehen und etwas frische Luft zu schnappen.
Der Himmel war noch immer bedeckt, und es roch nach Regen. Ich stand auf dem mit Schiefer belegten Patio und betrachtete diesen Winkel des alten Anwesens.
Amir Nasim hatte Gärtner, die sich um die geschrumpften Ländereien kümmerten, einschließlich der Bäume und Rasenflächen rund um das Pförtnerhaus. Die drei Holzapfelbäume entlang der Grundstücksmauer waren zurückgeschnitten, aber dieses Jahr würde es kein Holzapfelgelee von Ethel geben, wahrscheinlich nie wieder.
Hinter dem Patio befand sich ein kleiner Nutzgarten, in dem Ethel im Frühjahr ihr Gemüse angepflanzt hatte, bevor sie krank wurde. Der Garten war jetzt mit Unkraut und wilden Blumen überwuchert.
Und mitten in dem vernachlässigten Garten stand ein von Hand bemaltes Schild, das so alt und ausgeblichen war, dass man die Aufschrift nicht mehr lesen konnte. Aber als es frisch und neu war, vor rund sechzig Jahren, stand VICTORY GARDEN darauf, Siegesgarten.
Ich musste daran denken, es Ethels Tochter Elizabeth zu geben.
Ich hörte das Wandtelefon in der Küche klingeln. Ich hasste eingehende Anrufe; nur selten war jemand dran, der mir Sex, Geld oder eine kostenlose Urlaubsreise anbot. Und wenn, dann waren immer irgendwelche Haken dabei.
Es klingelte weiter, und da der Anrufbeantworter nicht funktionierte, hörte es auch nicht auf, so als wüsste jemand, dass ich zu Hause war. Susan?
Irgendwann hörte es auf.
Ich blickte mich ein letztes Mal um, ging dann wieder ins Haus und machte mich fertig, um eine alte Frau zu besuchen, die bald ihre letzte Belohnung bekommen würde, und um mich mit einem jungen Mann zu treffen, der, wenn er nicht vorsichtig war, wie sein Vater früh im Grab landen würde.
6
Um siebzehn Uhr fuhr ich durch das prachtvolle schmiedeeiserne Tor meines großen Anwesens und steuerte meinen Lamborghini auf der Grace Lane in Richtung Süden. Zurück zur Wahrheit: nicht mein Anwesen und kein Lamborghini.
Die Grace Lane - weder nach einer Frau benannt noch nach dem geistigen Zustand, in dem die Anlieger zu leben meinten, sondern nach der Familie Grace, die durch Ozeandampfer berühmt geworden war - war und ist möglicherweise nach wie vor eine Privatstraße, was heißt, dass sie den Anliegern gehört und diese sie instand halten sollen. Als ich das letzte Mal hier war, versuchten meine Nachbarn, diese Ausgaben auf diverse hiesige Bezirksregierungen abzuwälzen, die nicht allzu sehr darauf brannten, die reichen Mistkerle an der Grace Lane auszulösen, von denen einige nicht mehr reich
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