Nelson DeMille
den Ladentisch und sagte: »Ich nehme den hier.«
»Der ist sehr hübsch.« Sie band eine rosa Schleife um den Hals des Bären und steckte einen Lavendelzweig hinein.
Ich zahlte bar, und die junge Frau sagte zu mir: »Der wird ihr gefallen. Viel Glück.«
Ich stieg wieder ins Auto und fuhr in Richtung Westen, zu dem Hospiz in Glen Cove. Ich warf einen kurzen Blick auf den flauschigen Bären neben mir, und mit einem Mal packte mich die Rührung. Es traf mich tief, dass Ethel Allard im Sterben lag und so viele Menschen, die ich einst gekannt hatte, tot waren, und plötzlich erinnerte ich mich an alle und sah ihre Gesichter wieder vor mir - so wie einst, lächelnd, für gewöhnlich bei einem gesellschaftlichen Anlass oder einer Familienfeier, einen Drink neben sich, genau wie auf den Fotos, die ich mir vorhin angeschaut hatte.
Wo, fragte ich mich, sind all die Jahre geblieben? Und warum hatte ich diese Momente nicht genossen, als meine Welt noch sicher, vertraut und intakt war?
Tja, man kann nicht zurück, und selbst wenn ich's könnte, bin ich mir nicht sicher, ob ich irgendetwas an dem geändert hätte, das meinen Werdegang oder den von Frank Bellarosa bestimmt hatte.
Frank war an einem kalten Wintertag vor zehn Jahren mitein paar Geschäftsfreunden von Brooklyn zu einem Restaurant in Glen Cove unterwegs gewesen. Sie bogen vom Long Island Expressway ab, verfuhren sich und landeten irgendwie an der Grace Lane. Sie entdeckten das verlassene Anwesen namens Alhambra, und wie Frank mir später erklärte, erinnerten ihn die Pyramidenpappeln, die die Zufahrt säumten, und das im mediterranen Stil verputzte Herrenhaus mit seinem roten Ziegeldach an seine italienischen Wurzeln. Er holte Erkundigungen ein und kaufte das Anwesen. Dann zog er ein. Dann lernte ich ihn kennen. Dann nahm Susan seine Einladung zum Kaffee an. Dann passierte allerhand, was damit endete, dass meine Frau ihren neuen Nachbarn und Geliebten ermordete.
Und jetzt, zehn Jahre später, hat sich das ursprüngliche Ensemble dieser Tragödie - einschließlich der Toten und Sterbenden - zum letzten Akt wieder zusammengefunden.
7
Ich steuerte auf der Duck Pond Road in Richtung Westen, vorbei an der Friends Academy, einer von einheimischen Quäkern gegründeten Privatschule. Susan war auf die Friends gegangen und, wie sie mir erzählte, von George Allard zum Unterricht gefahren worden. Als einer der letzten Dienstboten der Stanhopes trug er viele Kopfbedeckungen, darunter auch eine Chauffeursmütze.
Die Gold Coast der fünfziger und frühen sechziger Jahre hatte sich, wie ich mich entsann, in einem Übergangsstadium befunden zwischen der alten Vorkriegswelt mit ihren im Gesellschaftsregister verzeichneten Familien, deren Vermögen mittlerweile schrumpfte, und den gesellschaftlichen Umwälzungen, die einen Großteil der alten Ordnung hinwegfegen sollten.
Viele dieser Veränderungen brachten Besserungen. George zum Beispiel war kein Dienstbote mehr, sondern wurde zum Angestellten. Dadurch verbesserten sich zwar seine Fahrkünste nicht, aber er hatte am Wochenende frei.
Was Ethel die Rote angeht, wie ich sie nannte, weil sie Sozialistin war, so hatte sie sich nie als Dienstbotin betrachtet - und schon gar nicht, nachdem sie mit Augustus Stanhope geschlafen hatte -, und sie hat lange genug gelebt, um mitzubekommen, dass viele ihrer idealistischen Träume Wirklichkeit wurden.
Ein Schild wies mich darauf hin, dass ich in die unabhängige Stadt Glen Cove kam, die eigentlich eine mittelgroße Ortschaft mit rund zwanzigtausend Einwohnern ist - oder mehr, wenn man die neuen Immigranten hinzuzählt, die sich nicht um die Voraussetzungen für das Erlangen der Staatsbürgerschaft scheren.
Glen Cove liegt am Hampstead Harbor und dem Long Island Sound und wurde, wie viele Gemeinden an der Nordküste von Long Island, im 17. Jahrhundert von englischen Siedlern gegründet, darunter auch meine Vorfahren, die sich bei ihrer Ankunft nicht die Mühe machten, bei den einheimischen Indianern vom Stamme der Matinecock die Staatsbürgerschaft oder eine Arbeitserlaubnis zu beantragen.
Trotzdem lebten Bleichgesichter und Rothäute ein Jahrhundert lang relativ friedlich und harmonisch nebeneinander, was hauptsächlich daran lag, dass die Indianer an den europäischen Seuchen starben. Die Briten besetzten Long Island während des Unabhängigkeitskriegs, und viele der einheimischen Bewohner blieben der Krone treu ergeben, darunter auch, ich gestehe es, die Sutters, die nach wie vor
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