Nelson DeMille
würde? Tja, offensichtlich glaubte er das, als er seine Botschaft mittels dieses Vergeltungsschlags überbrachte. Allerdings bin ich mir sicher, dass er weder die Presse noch die Kräfte von Gesetz und Ordnung aufschrecken wollte. Im Gegensatz zu seinem Vater plante Anthony nicht von langer Hand. Anna hatte es am besten ausgedrückt: »Du denkst nicht, Tony. Dein Vater konnte denken.« Stonato. Mama weiß Bescheid.
Apropos Anna - wie wollte Anthony Mama erklären, dass er Onkel Sal hatte umnieten lassen? Okay, zunächst einmal würde Anna die Lügen, die die Polizei und die Medien über ihren Sohn verbreiteten, einfach nicht glauben. Sie hatte schließlich genauso wenig geglaubt, dass ihr Mann, der den Märtyrertod gestorbene heilige Frank, ins organisierte Verbrechen verwickelt gewesen war. Und das Gleiche galt für ihren Schwager Sal - und so weiter und so fort.
Natürlich wusste Anna, dass alles stimmte, aber sie könnte es niemals jemandem außer sich selber eingestehen, sonst würde sie ihre fröhliche Art und den Verstand verlieren. Dennoch dürfte Salvatore D'Alessios Beerdigung eine ziemlich angespannte familiäre Angelegenheit werden, vor allem, wenn Anthony auftauchte und Marie das Spiel nicht mitmachte, das die Jungs vor langer Zeit erfunden hatten.
Jenny redete jetzt über Anthony Bellarosa, und ich hatte den Eindruck, dass sie improvisierte. »Über Frank Bellarosas Sohn ist nur wenig bekannt, und allem Anschein nach hielt er sich seit dem Tod seines Vaters bedeckt. Aber jetzt, da sein Onkel tot ist und er, wenn man den Gerüchten Glauben schenkt, angeblich etwas damit zu tun hat -«
Ich schaltete den Fernseher aus.
Ich könnte Jenny ein paar Auskünfte über Tony geben, angefangen damit, dass er seinen Namen geändert hatte. Wenigstens hatte sie mir das Gefühl vermittelt, dass es für die Sutters jetzt besser aussah. Der dumme Anthony hatte unabsichtlich -schwachsinnigerweise - einen Mediensturm entfesselt, den Vatertagsmord, und das war gut für Susan und mich. Und die Fernsehberichterstattung war vermutlich noch gar nichts im Vergleich zu den bluttriefenden Fotos, die morgen in der Boulevardpresse erscheinen würden. Hoffentlich hatte jemand vor dem Eintreffen der Polizei im Giovanni's ein paar Bilder von Salvatore D'Alessios zerfetztem Kopf geknipst. Mit solchen Fotos konnten ein paar glückliche Menschen, die ihre Kameras für die üblichen Vatertagsfotos zum Essen mitgenommen hatten, viel Geld verdienen. Manchmal ließ sogar die New Yorker Polizei der Presse ein paar blutrünstige Fotos zukommen, um der Öffentlichkeit zu zeigen, dass La Cosa Nostra wahrlich keine italienische Brudersch aft war. Das wäre in Sachen Öff entlichkeitsarbeit ein guter Kontrapunkt zu einem John Gotti als Volksheld. Ich dachte an einige bunte Fotos von Marie, mit Blut, Hirnmasse und Schädeltrümmern ihres Mannes bespritzt. Ich wusste, wie sich das anfühlte. Zumindest würden die Boulevardblätter ein paar Farbfotos vom Tatort bringen - vom Tisch, dem Blut am Boden, der Kotze. Nein, keine Kotze. Blut war okay, aber niemals Kotze. Kinder könnten das sehen.
Ich ging nach unten und überprüfte Türen, Fenster und Außenlicht, bevor ich oben das Schlafzimmer betrat. Susan war noch wach und las. »Du solltest schlafen«, sagte ich.
Sie antwortete nicht. Sie schien ziemlich mitgenommen.
»Schau, im Fernsehen wird noch jede Menge darüber berichtet werden, aber ich verspreche dir, dass ich es mir nicht anschauen werde, und wir kaufen in London auch keine amerikanischen Zeitungen.«
Wieder ging sie nicht darauf ein.
»Es ist gut, dass wir nach London fliegen.«
Sie nickte, dann fragte sie: »Verstehst du jetzt, wieso ich nach Hilton Head gezogen bin?«
Tja, nein, überhaupt nicht, aber um eine Diskussion zu vermeiden, sagte ich: »Verstehst du, warum ich drei Jahre auf meinem Boot zugebracht habe?« Sie ging nicht darauf ein.
Ich holte die Schrotflinte und den Karabiner aus meinem Schrank, lehnte die Schrotflinte an ihren Nachttisch und den Karabiner an meinen.
Als ich mich auszog, sagte sie zu mir: »Tut mir leid, dass du ihn im Fernsehen sehen musstest.«
»Mach dir darüber keine Gedanken. Rede gar nicht drüber.« Sie erwiderte nichts.
Um sie aufzumuntern und die Stimmung zu verbessern, sagte ich: »Kannst du dich noch daran erinnern, als wir in Paris waren und in dem kleinen Café saßen ... wo war das?«
»Auf der Ile de la Cité. Und du hast mit der Bedienung geflirtet.« »Ach, ja ... erinnerst du
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